Kurt Auerbach
Kurt Auerbach war der jüngste von drei Söhnen des Ehepaars Jakob Auerbach und seiner Frau Jeanette (genannt „Nettchen“), geb. Berger. Jakob Auerbach war, wie schon sein Vater Mendel Auerbach, Viehhändler und Metzger. Nach der Machtübernahme geriet auch Kurts Familie, wie die der drei anderen jüdischen Familien in Telgte, in den Strudel der antisemitischen Gewalttaten.
Am 1. April 1933 bauten sich SA-Männer vor Jakob Auerbachs Metzgerei auf und riefen die Telgter Bürger zum Boykott auf. Seinen Sohn Kurt musste Jakob Auerbach ab 1935 von der örtlichen Volksschule nehmen und ihn täglich den weiten Weg nach Münster zur jüdischen Schule fahren. Die Auerbachs wurden im Ort nun geschnitten, und wer trotzdem mit ihnen Kontakt hielt, wurde denunziert und von der Partei verwarnt. Die Geschäfte gingen wegen des Boykotts stark zurück. Kaum ein Bauer verkaufte Jakob Auerbach noch Vieh, nur ganz wenige Kunden blieben. Sie ließen die Ware oft von der Haushälterin der Familie Auerbach nach Hause bringen.
In der Pogromnacht wurden das Geschäft und die Wohnung verwüstet, die Synagoge im Hof wurde geschändet. Am nächsten Tag kamen uniformierte SA-Männer und Zivilpersonen und umstellten das Haus. Jakob Auerbach gelang es, zusammen mit seinem Sohn Alfred das Haus unbemerkt zu verlassen und sich bei einer befreundeten Familie, den Westhues, zu verstecken. Eine Woche später, als er sich wieder zu Hause aufhielt, wurde Jakob Auerbach von der SA festgesetzt, jedoch am nächsten Morgen auf Anweisung der Gestapo wieder entlassen. Das Ehepaar Auerbach bemühte sich, ihre Söhne Alfred und Erich mit einem Kindertransport außer Landes zu bringen. Zwei Passfotos, die aus diesem Grund an ein Vermittlungsbüro geschickt wurden, sind erhalten geblieben.
Kurts Mutter Jeanette („Nettchen“) war diesen Strapazen nicht gewachsen und starb am 25. Juni 1940. Sie wurde auf dem jüdischen Friedhof in Münster bestattet. Nicht lange danach, am 9. Januar 1941, zog Jakob Auerbach mit seiner Schwester Fanny und Kurt von Telgte nach Wuppertal. Der Telgter Bürgermeister Arensmeyer meldete seine Stadt danach als »judenfrei«.
In Wuppertal wohnten die Auerbachs in der Hofaue 69 bei dem verwitweten Schwager Alex Berger, dem Bruder von Jeanette Auerbach.
Am 26. Oktober 1941 wurde Jakob Auerbach mit seinem Sohn Kurt, seiner Schwester Fanny und seinem Schwager Alexander Berger in das Ghetto von Łódź deportiert. Alle vier wurden in das Zimmer 4 der Kollektivunterkunft Fischstraße 15 eingewiesen. Im selben Transport war Kurts Onkel Julius Auerbach gewesen, der im Haus 21 unterkam und am 5. Dezember 1941 starb. Nach der Auflösung der Kollektivunterkünfte zog Jakob Auerbach in die Königsberger Straße 34. Sein Name stand auf einer Liste von Dezember 1941, auf der Fleischer und Selcher vermerkt waren, die sich beim Kommissar der Fleischzentrale melden sollten. Am 11. Mai 1942 richtete Jakob Auerbach ein Schreiben an die „Aussiedlungskommission“ des Ghettos. Unter Hinweis auf seinen Status als ehemaliger „Frontkämpfer“ und die Arbeit seines Sohnes Kurt gelang es ihm, sich, seine Schwester Fanny, die mit 66 Jahren zu schwach für einen Transport sei, und Kurt von der „Aussiedlung“ am 12. Mai 1942 zurückstellen zu lassen. Nur 13 Tage später, am 25. Mai 1942, verstarb Jakob Auerbach im Ghetto von Łódź.
Der nun sechzehnjährige Kurt hatte schon in seiner Zeit in Wuppertal Zwangsarbeit leisten müssen, denn am 2. Dezember 1941 wurde ein auf ihn ausgestelltes Arbeitsbuch mit der Nummer 198/2215776 abgegeben, Vom 9. Februar 1942 bis zum 26. April 1942 arbeitete er in der Fäkalienabfuhr – eine anstrengende und gefährliche Arbeit, durch die er am 26. April erkrankte. Seinem Vater gelang es, ihn und andere Familienmitglieder von der Aussiedlung zunächst zurückstellen zu lassen.
Am 18. Januar 1943 ist für Kurt Auerbach ein Umzug im Ghetto von der Wohnung 5, Bierstraße 12, in die Wohnung 9, Bierstraße 10, dokumentiert. Vor diesem Umzug war Kurt Auerbach seit dem 7. August 1942 in der Wohnung 8 in der Gnesener Straße registriert. In die Bierstraße zog er zusammen mit der Krankenschwester Elisabeth Rosenberg.
Am 12. April 1943 schrieb Kurt Auerbach ein Bittgesuch an den „Altesten der Juden in Litzmannstadt Ghetto“:
Vor 1 ½ Jahren bin ich zusammen mit meinem Vater und diversen anderen Verwandten nach L. umgesiedelt worden. Sämtliche Verwandten starben bis auf einen Onkel, und dieser Onkel, der vom Tode meines l. Vaters an für mich sorgte, ist auch im September, zur Zeit der Sperre, ausgesiedelt worden. Geschwister habe ich auch keine hier, und da ich allein wirtschaften muss, bin ich sehr heruntergekommen, denn ein Junge in meinem Alter von knapp 16 Jahren hat doch nicht die nötige Einteilung. Deshalb bitte ich Sie, Herrn Präses, mich doch und wenn nur für kurze Zeit, in eine Küche oder Bäckerei aufzunehmen, damit ich mich etwas erholen kann, denn von Natur aus bin ich stark und kräftig, und war auch bisher in der Lage schwere Arbeiten zu verrichten. In der Hoffnung, dass meine Bitte erhört wird, grüßt Sie hochachtungsvoll Ihr Kurt Auerbach.
Im gleichen Jahr 1943 musste Kurt Auerbach vom 11. bis 13. August zwei Tage im Zentralgefängnis des Ghettos verbringen. Sein Name steht auf einer Liste vom 4. Juli 1944: „An die Sonderabteilung – Aufstellung der Personen, die sich bereits im Gefängnis befinden und neuerdings in der Liste der Aufgeforderten verzeichnet worden sind.“ Am 25. Juni 1944 wurde Kurt Auerbach im Zentralgefängnis des Ghettos festgehalten, am 28. Juni 1944 aus dem Ghetto von Lodz „ausgesiedelt“ und vermutlich in Chełmno ermordet.
Kurts ältester Bruder Erich wurde aus dem Jugendlager in Paderborn, in dem er auf eine Auswanderung nach Palästina vorbereitet werden sollte, am 1. März 1943 nach Auschwitz deportiert. Nach den Strapazen eines 600 km langen Todesmarsches starb er am 4. Mai 1945 in Dörnhau. Einzig sein Bruder Alfred überlebte: Ihm gelang 1939 die Emigration nach Palästina.
Bildnachweis
Quellen
Jakobs, Hildegard: Im Ghetto Litzmannstadt (Łódź). 1.003 Biografien der am 27. Oktober 1941 aus Düsseldorf Deportierten, in Zusammenarbeit mit Angela Genger, Immo Schatzschneider und Markus Roos, hg. vom Förderkreis der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf e.V., Essen 2011