Irma Michel
Irma Michel wurde am 19. April 1925 in Westhofen als zweite Tochter von Else Berta und Albert Michel geboren. Ihre Schwester Ella war fünf Jahre älter als sie.
Westhofen war ein kleines, inmitten von Weinbergen gelegenes Dorf zwischen Alzey und Worms. Ihren Lebensunterhalt betritt die Familie mit einem Geschäft für Landerzeugnisse und einer Brennholzgroßhandlung. Irmas Schwester Ella erinnerte sich später: Ein Onkel von mir hat von meiner Mutter gesagt, es fliegt keine Taube über Westhofen, von der deine Mutter nicht eine Feder gehabt hätte. Und das auf eine ehrliche Weise, genau wie mein Großvater. Sie waren für ihre Ehrlichkeit bekannte Kaufleute.
1929 trennte sich Irmas Mutter von ihrem Vater, der nach der Scheidung nach Dresden ging. Seine Spur verliert sich 1943 in Auschwitz. In Wuppertal lebte Irmas Tante Alice Hartmann, geb. Neuhäuser mit ihrem Mann in der Gewerbeschulstraße 103. Alice Hartmann war Klavierlehrerin und begleitetet als Pianistin Sänger am Stadttheater. Else beschloss nach der Scheidung, ihre Tochter Irma zu ihrer Schwester nach Wuppertal zu geben. Nach einiger Zeit hatte Irma sich so an die Tante gewöhnt, dass sie sie „Mutter“ nannte.
Ihre richtige Mutter Else Michel lebte nun mit Ella in Westhofen. Bald machte sich bei Else eine Augenkrankheit bemerkbar, die sie von ihrem Vater geerbt hatte. Zwar hatte sie das Glaukom in Wuppertal behandeln lassen, aber trotzdem war die Erblindung unaufhaltsam. Für Else und Ella Michel hatte sich seit 1933 das Leben in Westhofen zusehends verschlechtert. Es wurden sogar Steine nach ihnen geworfen. Zuletzt schützte sie auch der Umstand nicht mehr, dass Else Michel eine Klassenkameradin der Frau des Bürgermeisters gewesen war. Ella Michel erinnerte sich: 1936 oder 1937 hat der Bürgermeister zu meiner Mutter gesagt: „Ich kann dich nicht länger schützen. Wir hier tun dir nichts, aber die kommen von außen. Schließlich verkaufte Else Michel ihr Haus und zog mit ihrer Tochter auch nach Wuppertal.
Irmas Mutter, die inzwischen erblindet war, fand Aufnahme im Altersheim der jüdischen Gemeinde Wuppertal-Elberfeld in der damaligen Straße der SA 73 (heute Friedrich-Ebert-Straße), wo auf engstem Raum bereits über 70 meist ältere Personen lebten. Irmas Schwester fand eine Arbeit in Hamburg als Krankenschwester im dortigen Jüdischen Krankenhaus. Von einem gewissen Zeitpunkt an, wohl ab Ende 1941, durfte sie ihre Mutter und ihre Schwester nicht mehr in Wuppertal besuchen.
Am 19. April 1942 feierte Irma ihren 17. Geburtstag, der ihr letzter war. Der Deportationsbefehl in das ostpolnische Städtchen Izbica war bereits ergangen, und zwei Tage später musste sich die junge Frau auf dem Bahnhof Steinbeck einfinden, wo der Zug schon wartete. Ob ihre blinde Mutter sich noch hat von ihr verabschieden können, ist nicht überliefert. Vermutlich kam Irma bereits im Ghetto Izbica um, oder aber man hat sie in das nahe gelegene Vernichtungslager Sobibór verbracht, wo sie dann sofort ermordet wurde.
Else Michel musste sich am 20. Juli 1942 mit ihrem Gepäck zum Bahnhof Steinbeck begeben, um mit vielen weiteren Jüdinnen und Juden in das Ghetto Theresienstadt deportiert zu werden. Alle anderen Bewohnerinnen und Bewohner aus dem Altersheim mussten sich ebenfalls auf dem Bahnhof einfinden.
Irmas Schwester Ella schloss sich 1943 freiwillig einem Transport aus Hamburg nach Theresienstadt an, um sich dort auf die Suche nach ihrer Mutter zu machen, die sie schließlich im Blindenheim des Ghettos auch fand.
Am 16. Oktober 1944 wurden Else und Ella nach Auschwitz deportiert. Die Mutter wurde sofort in der Gaskammer ermordet, aber Ella überlebte Auschwitz, die Todesmärsche, die Eisenbahnfahrten während der „Evakuierung“ und die Aufenthalte in den Lagern Groß-Rosen und Bergen-Belsen, wo sie im April 1945, nur noch 35 Kilo wiegend, von der britischen Armee befreit wurde.