Irmgard Baum

  • Geburtsdatum: 22.04.1919
  • Geburtsort: Barmen
  • Beruf: Kontoristin
  • Wohnort:

    Fischertalstraße 67, Sternstraße 20 (heute Senefelderstraße), Briller Straße 106, Roonstraße 18

  • Todesdatum: nach 21.04.1942
  • Todesort: Ghetto Izbica oder Vernichtungslager Sobibór

Irmgard Baum wurde am 22. April 1919 als erstes Kind von Maximilian Baum und seiner evangelischen Frau Änne in Barmen geboren. Die Familie lebte im Elberfelder Westen, zunächst in der Sternstraße 20 (heute Senefelder Straße) und später im Briller Viertel in der Roonstraße 18.

1921 wurde Irmgards Bruder Günther geboren. Über Irmgards Kindheit und Jugend ist praktisch nichts bekannt, aber es ist klar, dass Irmgard und ihr Bruder nach der Machtübernahme mit den üblichen Repressalien eingeschüchtert und diskriminiert wurden. Am 7. Februar 1939 schickten die Eltern Irmgards nun 14-jährigen Bruder mit einem Kindertransport nach England. Dadurch überlebte er und starb 2012 in den USA.

Im September 1940 starb Irmgards Vater Maximilian Baum an einer Blutvergiftung, die nicht behandelt wurde, weil er Jude war. Irmgards Mutter bestattete ihn an der Ostseite des jüdischen Friedhofs am Weinberg. Im April 1942 erhielten die beiden Frauen Post von der von der Gestapo kontrollierten Gemeindeleitung: Irmgard sollte sich am 21. April 1942 am Bahnhof Steinbeck einfinden, um zum „Arbeitseinsatz in den Osten“ verbracht zu werden.

Denselben Brief hatten auch die Mütter Olga Kesting, Käthe Lewin und Änne Kurek bekommen: Ihre Kinder Michael, Jutta und Edith sollten, wie Irmgard, als Kinder jüdischer Väter auf diesen Transport kommen.

Die vier Frauen taten sich zusammen und protestierten in Telegrammen gegen dieses Vorhaben. Erhalten ist ein Vermerk der Gestapo Düsseldorf über diesen seltenen Fall klaren Protests:

Düsseldorf, den 21. April 1942

Vermerk:

SS-Obersturmführer Hasmann vom Judenreferat des Reichssicherheitshauptamts rief telefonisch an und teilte mit, daß beim Innenministerium eine Reihe von Protesttelegrammen eingegangen seien, und zwar von

  1. Frau Ferdinand Kesting, Wuppertal, Recklinghauserstr. 56
  2. Frau Emma [richtig: Anna] Kurek, Wuppertal, Brillerstr. 34
  3. Käthe Lewin und Frau Änne Baum, Wuppertal, Straße der SA 85.

Die Vorgenannten protestieren gegen die Evakuierung ihrer Kinder. Auf Anordnung des RSHA ist sofort zu überprüfen, ob die Evakuierung auf Grund der vornenannten Richtlinien durchgeführt werden konnte. Weiter ist den Betreffenden unter Androhung staatspolizeilicher Maßnahmen in entsprechender Form zu verbieten, weitere Schritte zu unternehmen. Es müsse unter allen Umständen vermieden werden, daß die betreffenden Personen noch weitere Stellen mit Protestschreiben angehen.

Dem RSHA ist in den nächsten Tagen durch FS – Hasmann bemerkte ausdrücklich, daß es nicht eile, ­Bericht zu erstatten.

Staatspolizeileitstelle […]

 

Am 5. Mai erhielt das Reichssicherheitshautamt in Berlin folgende Nachricht:

Düsseldorf, den 5. Mai 1942

1.) Fernschreiben

An das Reichssicherheitshauptamt

Betrifft: Evakuierung von Juden nach Izbica.

Vorgang: fernmündliche Weisung vom 21.4.1942 von SS-O-Stuf. Hasmann– Referat IV B 4-.

 

Die am 22.4.1942 nach Izbica evakuierten jüdischen Mischlinge:

a) Kesting, Michaelis Israel, geb. am 23.11.1921 in Alytis/ Litauen,

b) Kurek, Edith Sara, geb. am 14.8.1923 in Elberfeld,

c) Lewin, Jutta Sara, geb. am 19.12.1918 in Elberfeld,

d) Baum, Irmgard Sara, geb. am 22.44.1919 in Barmen,

gelten nach § 5, Absatz 2, der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz als Juden. Ihre Namhaftmachung erfolgte nach den im Evakuierungserlaß festgesetzten Richtlinien.

Sämtliche Angehörigen der vorstehend aufgeführten Personen wurden am 21.4.1942 unter Androhung staatspolizeilicher Maßnahmen beschieden, weitere Protestschreiben bezgl. der Evakuierung ihrer Kinder zu unterlassen. […]

 

Der Protest hatte keinen Erfolg. Irmgard wurde, wie die drei anderen jungen Leute, nach Izbica deportiert. Sie kehrte nicht wieder zurück. Mit auf diesem Transport war auch ihre Tante Irmgard Charlotte Baer, geb. Baum, die jüngere Schwester ihres Vaters. Auch sie kehrte nie wieder zurück.

Änne Baum aber ließ nicht locker, sondern schrieb am 9. Oktober 1942 an das Reichssicherheitshauptamt in Berlin folgenden Brief:

Heute wende ich mich mit der großen Bitte an Sie, den jetzigen Aufenthalt meiner am 21.4.1942 nach Izbica evakuierten Tochter Irmgard, welche von dort aus am 16.5.1942 an einen mir unbekannten Ort weiter ausgesiedelt wurde, festzustellen. Seit dem 1. Mai erhalte ich keinerlei Nachricht mehr von meinem Kind und wandte mich an den Kommandeur der Sicherheitspolizei des SD für den Distrikt Lublin in Lublin, Universitätsstr. 6 . Ich erhielt vor einigen Tagen folgende Antwort:

Lublin, 26. Sept. 1942

Die Irmgard Baum ist am 16.5.1942 von Izbica mit ausgesiedelt worden. Ihr derzeitiger Aufenthalt lässt sich von hier aus nicht feststellen. […]

Ich darf wohl gütigst erwähnen, dass ich deutschblütige Mutter bin, und mein Kind infolgedessen biologisch gesehen Mischling ist, den Nürnberger Gesetzen nach aber als Jüdin gilt, da es ohne unser Wissen am Stichtag in der j. Gemeinde geführt wurde. Mein Mann ist im September 1940 verstorben, und ich lebte mit meiner Tochter alleine. Wir haben stets nur in arischen Kreisen verkehrt. Da meine Tochter äußerlich und charakterlich ganz die Rassenmerkmale meiner deutschen Familie geerbt hat, leidet sie unter dem Zwang des Zusammenlebens mit den Volljuden unsagbar. Als arische Mutter möchte ich Sie nun herzlichst bitten, mir zu helfen und mir den jetzigen Aufenthalt meines Kindes mitzuteilen. Gleichzeitig bitte ich Sie ebenso herzlich im Namen all meiner arischen Verwandten. Geben sie mir die Möglichkeit, wieder ein Lebenszeichen von meinem gel. Kind erhalten zu können. Die tollsten Gerüchte werden verbreitet, die mein Mutterherz aufs tiefste treffen und die Sorgen um mein Kind zur Unerträglichkeit gestalten. Von ganzem Herzen hoffe ich, dass Sie in der Lage sein werden, mir helfen zu können, indem Sie mir Gewissheit geben über den Verbleib meines Kindes. In tiefster Dankbarkeit zeichne ich ergebenst Heil Hitler Wwe Änne Baum

 

Dieser Brief hatte nicht nur erwartbar keinen Erfolg, sondern führte zu einer Vorladung bei der Gestapo in Düsseldorf. In einem Aktenvermerk vom 23. Oktober 1942 wird protokolliert:

Frau Baum wurde beschieden, dass über den derzeitigen Aufenthalt der Tochter Irmgard Sara Baum von hier keine Mitteilung gegeben werden kann. Ferner wurde sie unterrichtet, dass weitere Eingaben an Behörden und Parteidienststellen zwecklos sind, da an eine Rückführung der Irmgard Baum nicht zu denken ist und nicht infrage kommt. Sie wurde darauf aufmerksam gemacht, dass weitere Eingaben nicht mehr beantwortet werden. Frau Baum erklärt zu ihrer Angabe in der Eingabe vom 9.10.1942 an das Reichssicherheitshauptamt, dass die tollsten Gerüchte über die Evakuierten verbreitet würden, folgendes:

Als ich beim Einkauf auf der Straße der SA in Elberfeld aus der Bäckerei Ehrmann herauskam, unterhielten sich eine evangelische Krankenschwester und eine Zivilistin darüber, dass die Juden im Osten ihr Grab hätten schaufeln müssen, sie seien dann mittels Genickschuss getötet worden, dass sie vornüber in das selbst geschaufelte Grab gefallen sind. Später habe man die Juden in Kraftwagen verladen, die dann unter Gas gesetzt wurden, dass die Juden dadurch getötet wurden. Den Namen dieser beiden Frauen kenne ich nicht und habe ihn auch nicht feststellen können. Ich habe versucht, die evangelische Schwester nochmals zu treffen, was mir aber bis heute nicht gelungen ist. Ich werde bei Feststellen der Namen der Vorgenannten sofort Meldung machen, da ich davon überzeugt bin, dass das Gerücht nicht den Tatsachen entspricht. Ich wurde darauf aufmerksam gemacht, dass das Gerücht eine böswillige Verleumdung ist und gegen die Verbreiter dieses Gerüchts mit den schärfsten staatspolizeilichen Maßnahmen vorgegangen wird.

 

Es scheint, dass Irmgard nicht bereits im Ghetto des kleinen Städtchens Izbica umkam, sondern in das nahegelegene Vernichtungslager Sobibór „ausgesiedelt“ wurde, wo sie vermutlich sofort ermordet wurde.

Irmgards Mutter Änne Baum kämpfte noch lange, auch nach Kriegsende, mit den Behörden um ihre Tochter, indem sie auf ihrem Wiedergutmachungsanspruch beharrte. Am 6. Dezember 1971 starb Änne Baum, 80 Jahre alt, und wurde bei ihrem Mann Maximilian auf dem jüdischen Friedhof am Weinberg bestattet.

Anna Kurek lebte noch mehrere Jahrzehnte in Wuppertal und starb am 27. Juli 1981, 84 Jahre alt. Ihr Grabstein auf dem jüdischen Friedhof am Weinberg trägt auch eine Gedenkinschrift, die an ihre beiden Liebsten, Isaak und Edith, erinnert.

Quellen


Stadtarchiv Wuppertal: Akten für Wiedergutmachung 77323, 10981, 11157, 10981; Archiv Begegnungsstätte Synagoge: Deportationsliste Izbica