Leo Sonnenfeld
Leo Sonnenfeld wurde am 2. April 1870 in Ratibor in Schlesien (heute Racibórz) geboren. Über seine Eltern und mögliche Geschwister ist nichts bekannt.
Leo Sonnenfeld kam 1898 nach Elberfeld, heiratete noch im selben Jahr Hedwig Daniel und gründete mit seinem Schwager und Kompagnon Bruno Daniel die Werkzeuggroßhandlung Leo Sonnenfeld & Co., Bergische Feilen- und Stahlgesellschaft. Das florierende Unternehmen befand sich anfangs in der Wülfingstraße 22, bevor man sich 1904 zur Erweiterung entschloss und an den Grifflenberg 5 umzog. Bald schon wurden unter der Markenbezeichnung „Elesco“ Feilen, Sägen und Kaltsägemaschinen aus Elberfeld in nahezu alle europäischen Länder exportiert. Im Adressbuch von 1932 ist der Eintrag dieser Firma mit einem kleinen Lorbeerkranz versehen, d.h. dass sie schon seit über 25 Jahren existierte.
Leo Sonnenfelds Tochter Edith, geboren 1902 in Elberfeld, leitete von 1931 bis 1934 das Jüdische Altersheim der jüdischen Gemeinde. Der Sohn Werner, geboren 1904, stieg mit seiner Heirat mit Herta Glaser am 10. Oktober 1928 in in die väterliche Firma mit ein und wurde auch offiziell im Jahr 1933 Alleininhaber.
Seine Schwiegertochter Herta Sonnenfeld erinnerte sich später an Leo Sonnenfeld:
Und dann hatte ich das Glück, einen idealen Schwiegervater zu haben. Groß gewachsen, eindrucksvoll, mit einem Gesicht wie Einstein, mit langem, weißen Haar, das selten ein Hut bedeckte, besaß er tiefes Verständnis für andere Menschen und viel Lebensklugheit. Er wurde in der Stadt weithin geachtet.
Am 30. Juni 1934 kam Leo Sonnenfelds erstes und einziges Enkelkind zur Welt, Günther. Die Großeltern liebten dieses Kind unendlich, was sich unter anderem in den Briefen ausdrückte, die Leo Sonnenfeld an die im Januar 1939 ausgewanderten Kinder nach Holland schrieb. Hedwig Sonnenfeld und ihr Mann blieben in Wuppertal zurück.
Ende 1938 musste die Firma unter dem Druck der Verfolgungsmaßnahmen aufgelöst werden. Im November 1938 wurde auch Leo Sonnenfelds Sohn Werner verhaftet und sollte in das Konzentrationslager Dachau verschleppt werden. Aber, wie seine Frau Herta sich später erinnerte, kannte Leo Sonnenfeld zufällig ein paar hohe Amtsträger, und nur dank seiner Verbindungen gelang es, meinen Mann aus dem Gefängnis freizubekommen, bevor die Verhafteten ins KZ Dachau gebracht wurden. Die Bedingung für seine Freilassung war, dass wir das Land so rasch wie möglich verlassen sollten, egal wie. Holland hatte seine Grenzen 24 Stunden lang für alle jüdischen Flüchtlinge geöffnet und verlangte während dieser kurzen Zeit weder einen Reisepass noch ein Visum. Unglücklicherweise fanden wir das erst zwei Tage später heraus. Nichtsdestotrotz gelang es meinem Schwiegervater durch die Zahlung einer beträchtlichen Bestechungssumme, dass mein Mann in Begleitung eines hohen Polizeibeamten sicher über die niederländische Grenze gebracht wurde. Der einzige Weg, auf dem das geschehen konnte, war mittels einiger Geschäftspapiere, und deswegen konnten wir nicht mitkommen. Ich ließ meinen inzwischen vier Jahre alten Sohn in der Obhut meiner Schwiegereltern, die angesichts ihres Alters – beide waren über 60 – zumindest für den Moment weitgehend sicher waren.
Erhalten sind rührende Briefe des Großvaters Leo Sonnenfeld an seinen kleinen Enkel. Der letzte stammt vom Juni 1942, kurz vor der Deportation. In diesem Brief erwähnt Leo Sonnenfeld auch die „große Oma“, Herta Sonnenfelds Mutter Marta Glaser, und deren Tochter Käte. Beide Frauen waren im November 1941 nach Minsk deportiert worden.
Mein lieber kleiner Junge!
Hoffentlich kommt dies Schreiben noch rechtzeitig zu Deinem Geburtstag dort an, was die kleine Oma & ich Dir alles Gute wünschen, lässt sich in kurzen Worten nicht beschreiben. Eines was wir Dir aus vollstem Herzen wünschen, ist, bleibe gesund und ein tüchtiger Junge. Dein Rechenheft haben wir ja erhalten und studiere ich fortgesetzt darin. Ich habe lachen müssen, Du rechnest da ein ei kost 9 centen, 7 eieren kosten 63 centen, das ist ganz schön und gut, doch finde ich den Preis arg teuer, früher habe ich dort 3 centen für ein Ei gezahlt. Dann sagst Du, ein spin hat 8 poten, das weiß ich nun nicht genau, ich habe mir so ein Biest noch nicht genau besehen.
Also mein lieber Junge, auch von mir bekommst Du für all diese Rechenaufgaben eine sehr gute Zensur, schade, dass die große Oma und die Tante Käte dieses Heft nicht sehen kann, gern würden wir ihnen über Deinen Geburtstag etwas schreiben, aber dieses ist gänzlich unmöglich, was wir auch bisher unternommen haben, hat zu keinem Erfolg geführt. Hoffen wir, dass sie beide gesund sind, sie werden im Stillen mehr an Deinen Geburtstag denken, als Du und wir alle vermuten, und die Wünsche, die sie für Dich im Herzen tragen, werden die gleichen sein wie die unsrigen. Nun Dein Bildchen, welches wir erhalten haben, so recht bist Du nicht wiederzuerkennen, wir haben das Vergrößerungsglas zur Hand genommen und haben Dich an Deinem schönen Haarscheitel erkannt, also der kleine Junge vor Dir ist Dein Freund und die beiden Mädelchen rechts oben Deinen Freundinnen, die ganz rechts lacht so verstohlen. Na, es scheinen alles reizende Kinder zu sein.
Nun mein lieber Junge, Du schreibst der Oma & mir, ik kom naar de oorlog kyken wat er de hand is. Also Du willst uns nach dem Krieg besuchen und sehen, was wir machen, recht so, aber wir sind doch schon mal alte Leute, wer weiß, ob Dein Wunsch sich erfüllen wird? Na, wenn wir jetzt auch nur 2 Zimmer (kamers) haben, für Dich und auch für die Eltern würden wir schon noch Platz haben und machen, dann schlafen wir eben alle zusammen.
Und nun lerne weiter gut, ich freue mich immer, wenn Du mir schreibst, denn daran kann ich immer sehen, was Du neues zugelernt hast. Den nächsten Brief muss ich mit der Hand schreiben, denn die Schreibmaschine muss ich abgeben, Du weißt, ich schreibe auch ganz schön und Du wirst das lesen können.
Nun die innigstn Grüße & Küsse von Deinem
Opa.
Mein lieber Goldjunge! Nimm heute nochmals meine innigsten Glückwünsche zu Deinem Geburtstage entgegen. Die kleine Oma wünscht Dir das Schönste u. Beste von der Welt.
Auf der Deportationsliste für Theresienstadt, auf der Leo und Hedwig Sonnenfelds Namen verzeichnet sind, wird als ihre Wohnadresse das Haus in der Bleichstraße 22 angegeben. Diese Straße ist heute das Teilstück der Bundesallee von Bembergstraße bis Brausenwerth.
Das Haus Nr. 22 war nach der Aufhebung des Mieterschutzes zur Zwangsunterkunft für jüdischer MieterInnen erklärt worden. Es lebten dort in den Jahren 1941 und 1942 außer Leo und Hedwig Sonnenfeld noch Emil Sommer, Mathilde und Adolf Rubens, Josef Ney, Sally Löw, Franziska Lang, Johanne Mayer, Moritz Loeb mit seinem Sohn Helmut, Felix Goldberg, Hermann und Emilie Stern und Karl und Paula Ursell – insgesamt also 16 Personen.
Am Montag, den 20. Juli 1942, mussten Leo Sonnenfeld und seine Frau mit ihrem Gepäck und mit den verbliebenen Nachbarn zum Wuppertaler Bahnhof Steinbeck fahren und dort einen Zug besteigen, der insgesamt 271 Menschen nach Düsseldorf brachte, 247 aus Wuppertal, 14 aus Remscheid, sieben aus Solingen, je einen aus Neviges, Velbert und Heiligenhaus.
Alle mussten auf dem Schlachthofgelände in Düsseldorf-Derendorf eine Nacht zubringen. Am nächsten Tag wurde ein Transport zusammengestellt, der aus 20 Personenwagen bestand, in dem sich 965 Personen aus dem gesamten Gestapobezirk Düsseldorf befanden. Der Zug erreichte das Ghetto Theresienstadt am 22. Juli 1942. Am 31. Oktober 1942 kam Leo Sonnenfeld im Ghetto um, vor Hunger, aus Schwäche und wegen fehlender Versorgung. Er war 72 Jahre alt. Seine Frau Hedwig folgte ihrem Mann am 11. März 1943.
Bildnachweis
- Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal
Quellen
Archiv Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal: Deportationsliste Theresienstadt; Stadtarchiv Wuppertal: Akten für Wiedergutmachung 250380, 250381/ 82; Herta Sonnenfeld: Stufen zur Freiheit. Die Geschichte meines Lebens, übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Christoph Knüppel, Vreden 1998