Dr. Ilse Loew, geb. Dahl
Die Kunsthistorikerin Ilse Loew, geboren 1908 in Elberfeld, war die Tochter von David und Else Dahl, geb. Blumenthal. Ihre Schwester, Lore Rosa, später verheiratete Strauss, war ein gutes Jahr älter als sie. Als die beiden schon Teenager waren, bekamen sie 1920 noch einen kleinen Bruder, Ernst Artur.
Ab 1928 studierte Ilse Kunstgeschichte in Berlin, Paris und schließlich in München, wo sie 1934 über das barocke Reiterstandbild promovierte.
Am 20. April 1936 heiratete sie in ihrer Heimatstadt Wuppertal den aus Sulzburg gebürtigen, aber zu dem Zeitpunkt in Barcelona lebenden Alfred Loew, der Kaufmann war. Zusammen gingen sie offenbar nach der Heirat wieder nach Spanien.
Eine Cousine, Else Dalith, geb. Dahl, berichtet sehr viel später, 1982, so:
Ilse Dahl, eine blonde, blauäugige Schönheit, war bis 1935 mit dem Erbprinzen von Bayern befreundet, der sie bei Hofe vorstellte und sie heiraten wollte. Ilse lehnte ab und erklärte ihm, er könne in Hitlers Zeiten so etwas nicht auf sich nehmen. Sie heiratete einen spanischen Fabrikanten, mit dem sie im Bürgerkrieg nach Paris floh. Später kehrten sie nach Spanien zurück, spanische Freunde hatten ihnen ihren gesamten Besitz gerettet. Sie fühlten sich unsicher und gingen gerade vor dem Einmarsch der Deutschen nach Paris.
Am 11. September 1938 kam dort die gemeinsame Tochter Anne Judith zur Welt. Die Familie konnte aber nicht bleiben, und so brachen sie gemeinsam am 16. Mai 1939 voller Hoffnung von der französischen Hafenstadt St. Nazaire nach Kuba auf, versehen mit „Permits“, gültigen Einwanderungspapieren.
Doch Kuba hatte sehr plötzlich seine Einreisebestimmungen verändert: Von den 539 Passagieren der „Flandre“ durften 96 nicht an Land, und nach zehn bangen Tagen war klar, dass diese 96 wieder nach Europa zurückfahren mussten. Über diese vergebliche Reise schrieb Ilse Loew kurz danach einen langen Bericht, in dem sie detailliert auf die unübersichtliche Situation an Bord eingeht:
Schliesslich legte es sich wie ein Albdruck auf uns alle, dass es Schwierigkeiten geben würde, und dass vielleicht nicht alle, vielleicht nur wenige, vielleicht niemand aussteigen dürfte. Nach welchen Gesichtspunkten wir ausgewählt werden würden und ob überhaupt, wussten wir nicht.“
Ilse beobachtete, dass das den deutschen Pässen eingestempelte rote „J“ für Jude ausschlaggebend dafür war, dass man nicht nach Kuba einreisen durfte. Eine andere Frau, „sie war Polin und hatte das gleiche Permit für Kuba wie wir. Da die polnischen Pässe nicht besonders gekennzeichnet sind, fragte der kubanische Beamte: Sind Sie Jüdin? die Dame verneinte. Sie bekam eine gelbe Karte, auf der vermerkt war, dass sie in die Quarantaine durfte. Wir sprachen mit verschiedenen Leuten und die Bilanz war die folgende: die, die ein Visum hatten und eine Summe von 500 Dollar hinterlegt, durften aussteigen. Von denen, die Permits hatten, nur die, die keine Juden waren oder aus deren Pässen dies nicht hervorging. Es hiess, dass die ungarischen und italienischen Juden landen durften und die deutschen, die durch irgendeinen Zufall keine Bezeichnung im Pass hatten. Die Pässe waren also nur auf ihre “J” geprüft worden. Gesprochen wurde offiziell über all dies nicht. Aber es war eine glatte, klare Rechnung.
Ilses und Alfreds Tochter, die jüngste Passagierin an Bord, wurde auf der Reise krank, doch mithilfe des Kochs, der ihr besonders Essen zubereitete, erholte sie sich wieder. Und „von der Minute an, da wir an Land waren, fing sie wieder an zu essen und schlief wieder ihr Quantum und jetzt ist sie wieder ein fröhliches, dickes und braungebranntes Mädchen, das alles vergessen hat.“
In Frankreich angekommen, durften sie sich nur in Nantes, Cholet oder Angers niederlassen – die kleine Familie Loew wählte Cholet. Dort war Ilse erst einmal voller Hoffnung: „Jetzt sind wir in Frankreich und wir hoffen, dass der unglückselige Weg nach Cuba ein Umweg war für eine bessere Zukunft. […] So Gott will geht es einer besseren Zukunft entgegen.“
Doch im Sommer 1942 gab es eine Razzia gegen Juden – Ilse und Alfred gelang es, die mittlerweile dreijährige Tochter noch einer jüdischen Familie anzuvertrauen, bevor sie selbst am 20. Juli von Angers aus mit dem Convoi Nr. 8 nach Auschwitz deportiert wurden. Vermutlich wurden sie dort bald nach ihrer Ankunft ermordet.
Die kleine Anne wurde eineinhalb Jahre später, am 10. Februar 1944, mit dem Convoi Nr. 68 über Drancy nach Auschwitz verbracht und ebenfalls ermordet.
Bildnachweis
Quellen
Gedenkbuch der Bundesrepublik Deutschland; Archiv Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal, Sammlung Föhse: Bericht der Auswanderung auf der „Flandre“ nach Kuba, Brief von Else Dalith, geb. Dahl, an Ulrich Föhse vom 20.12.1982 ; Bertrand Bossy: Histoire le la déportation des Juifs dans les Mauges, La Creche 2014; Stadtarchiv Wuppertal Geburtsregister Elberfeld 4190/1908; Stadtarchiv Wuppertal, Heiratsurkunde Wuppertal 411/1936; Stadtarchiv Wuppertal: Akten für Wiedergutmachung 618594