Berta Else Michel, geb. Neuhäuser
Berta Else Neuhäuser wurde am 8. Oktober 1890 in Blödesheim (seit 1871 Hochborn) geboren.
Sie heiratete Albert Michel und zog mit ihm nach Westhofen, wo am 19. September 1920 ihre Tochter Ella geboren wurde und am 19. April 1925 die jüngere, Irma. Westhofen war ein kleines, inmitten von Weinbergen gelegenes Dorf zwischen Alzey und Worms. Ihren Lebensunterhalt betritt die Familie mit einem Geschäft für Landerzeugnisse und einer Brennholzgroßhandlung. Else Michels ältere Tochter Ella erinnerte sich später:
Ein Onkel von mir hat von meiner Mutter gesagt, es fliegt keine Taube über Westhofen, von der deine Mutter nicht eine Feder gehabt hätte. Und das auf eine ehrliche Weise, genau wie mein Großvater. Sie waren für ihre Ehrlichkeit bekannte Kaufleute.
1929 trennte sich Else Michel von ihrem Mann, der nach der Scheidung nach Dresden ging. Seine Spur verliert sich 1943 in Auschwitz. In Wuppertal lebte Else Michels Schwester Alice Hartmann mit ihrem Mann in der Gewerbeschulstraße 103. Alice Hartmann war Klavierlehrerin und begleitetet als Pianistin Sänger am Stadttheater. Zu ihr gab Elsa ihre kleine Tochter nach der Scheidung von ihrem Mann. Nach einiger Zeit hatte die Kleine sich so an die Tante gewöhnt, dass sie sie „Mutter“ nannte.
Bei Else Michel, die mit ihrer älteren Tochter Ella in Westhofen lebte, machte sich eine Augenkrankheit bemerkbar, die sie von ihrem Vater geerbt hatte. Zwar hatte Else das Glaukom in Wuppertal behandeln lassen, aber trotzdem war die Erblindung unaufhaltsam. Für die beiden Frauen hatte sich seit 1933 das Leben in Westhofen zusehends verschlechtert. Es wurden sogar Steine nach ihnen geworfen. Zuletzt schützte sie auch der Umstand nicht mehr, dass Else Michel eine Klassenkameradin der Frau des Bürgermeisters gewesen war. Ella Michel erinnerte sich: 1936 oder 1937 hat der Bürgermeister zu meiner Mutter gesagt: „Ich kann dich nicht länger schützen. Wir hier tun dir nichts, aber die kommen von außen. Schließlich verkaufte Else Michel ihr Haus und zog mit ihrer Tochter auch nach Wuppertal. Sie durfte einen Teil der Möbel mitnehmen, weshalb ihr ein Mann aus ihrem Heimatdorf unvergesslich blieb, der unsere ganzen Möbel trotz Verbot an die Bahn gefahren hat, den hab` ich später besucht, denn ich wusste, er hat keine Angst, der hat mit uns gesprochen.
Else Michel, die inzwischen erblindet war, fand Aufnahme im Altersheim der jüdischen Gemeinde Wuppertal-Elberfeld in der damaligen Straße der SA 73 (heute Friedrich-Ebert-Straße), wo auf engstem Raum bereits über 70 meist ältere Personen lebten. Ihre Tochter Ella fand eine Arbeit in Hamburg als Krankenschwester im dortigen Jüdischen Krankenhaus. Ich hab` Tag und Nacht gearbeitet. Ich hatte fast nie Urlaub. Und alles, was ich verdient hab`, hab` ich meiner Mutter geschickt. Von einem gewissen Zeitpunkt an, wohl ab Ende 1941, durfte sie ihre Mutter und ihre Schwester nicht mehr in Wuppertal besuchen.
Am 19. April 1942 feierte Else Michels Tochter Irma ihren 17. Geburtstag, der ihr letzter war. Der Deportationsbefehl in das ostpolnische Städtchen Izbica war bereits ergangen, und zwei Tage später musste sich die junge Frau auf dem Bahnhof Steinbeck einfinden, wo der Zug schon wartete. Ob ihre blinde Mutter sich noch hat von ihr verabschieden können, ist nicht überliefert. Vermutlich kam Irma bereits im Ghetto Izbica um, oder aber man hat sie in das nahe gelegene Vernichtungslager Sobibór verbracht, wo sie dann sofort ermordet wurde.
Ella Michel in Hamburg hatte die Möglichkeit gehabt zu emigrieren. Doch ihrer Mutter zuliebe, die eine Auswanderung für sich ablehnte, blieb sie in Deutschland. Else Michel musste sich am 20. Juli 1942 mit ihrem Gepäck zum Bahnhof Steinbeck begeben, um mit vielen weiteren Jüdinnen und Juden in das Ghetto Theresienstadt deportiert zu werden. Alle anderen Bewohnerinnen und Bewohner aus dem Altersheim mussten sich ebenfalls auf dem Bahnhof einfinden.
Ihre Tochter Ella schloss sich am 12. März 1943 freiwillig dem 4. Transport aus Hamburg nach Theresienstadt an, um sich dort auf die Suche nach ihrer Mutter zu machen, die sie schließlich im Blindenheim des Ghettos auch fand.
Am 16. Oktober 1944 sollte Else (die in den Unterlagen mit ihrem zweiten Namen Berta geführt wurde) in das Vernichtungslager Auschwitz verbracht werden, und Ella entschloss sich, ihre Mutter dorthin zu begleiten. Mein Größtes war, dass ich zuletzt mit der Mutter gegangen bin, obwohl ich in Theresienstadt hätte bleiben können. […] Ich war mit meiner Mutter und den anderen Blinden in dem Transport, alle um mich herum Blinde, drei Tage lang, und die hatten Hunger, was machst du da? Und wie der Viehwagen in Auschwitz aufgemacht wurde, hat man die Leute rausgerissen. Bei der Selektion wurde Else von ihrer Tochter getrennt. „Ella, Ella!“ waren ihre letzten verzweifelten Worte, bevor sie in den Tod gehen musste. Ella wäre ihr sogar in die Gaskammer gefolgt, wenn nicht ein SS-Mann sie mit Gewalt daran gehindert hätte. Als sie später zusammen mit anderen Häftlingen die Kleider der getöteten Menschen sortieren musste, fand sie darunter auch die der Mutter.
Else Michels Tochter Ella überlebte Auschwitz, die Todesmärsche, die Eisenbahnfahrten während der „Evakuierung“ und die Aufenthalte in den Lagern Groß-Rosen und Bergen-Belsen, wo sie im April 1945, nur noch 35 Kilo wiegend, von der britischen Armee befreit wurde.