Claire Heimann, geb. Levy
Claire Levy wurde am 16. September 1887 als jüngstes von vier Kindern in Eschwege geboren. Ihre Mutter Bertha, geb. Steinberg, stammte aus Bielefeld, der Vater Nathan Levy war der Sohn eines Baumwollwebereibesitzers. Die Familie Levy gehörte zum gehobenen Mittelstand. Die Kinder wurden von einer englischen Gouvernante erzogen und alle, auch die beiden Mädchen Claire und Martha, besuchten das Gymnasium in Eschwege und legten dort auch ihr Abitur ab.
Kurze Zeit nach ihrem Schulabschluss lernte Claire den fast zwanzig Jahre älteren Bernhard Heimann aus Elberfeld kennen, und nach einem romantischen Ausflug ins „Nachtigallental“ im rheinischen Siebengebirge verlobten sie sich.
Die Begegnung war auf Vermittlung eines Geschäftsfreundes zustande gekommen, denn Bernhard Heimann betrieb in Elberfeld das erfolgreiche und angesehene Kaufhaus „Gebrüder Kaufmann“ und hatte stets vorgegeben, keine Zeit für die Brautschau zu haben. Als ihm aber von Claire berichtet wurde: „Bernhard, ich habe eine Frau für dich“, kommentierte er ganz geschäftlich: „Wenn sie so gut ist wie die Qualität von Alexander Levy [das war Claires Großvater] – dann nehme ich sie ungesehen.“
Im Januar 1909 heiratete das Paar in Kassel. Die Hochzeitsreise führte über Venedig und Rom bis nach Sizilien. Noch heute existiert eine Korallenkette, die Claire als Souvenir von der Insel mitbrachte. Danach bewohnte das junge Paar – sie 22 Jahre alt, er 41 – die erste Etage eines Hauses an der Ecke Königstraße (heute Friedrich-Ebert-Straße)/ Breitestraße (heute Tannenbergstraße). Hier wurden am 9. Dezember 1909 die Tochter Hilde geboren und im Juli 1912 der Sohn Kurt-Joachim.
Ausdruck der selbstverständlichen Zugehörigkeit dieser Familie zur deutschen Gesellschaft drückt ein Zufallsfund auf einem Foto aus, das anlässlich eines Geburtstags im Februar 1912 gemacht wurde. Im Hintergrund ist als Wandschmuck ein Bilderrahmen mit folgenden Versen zu sehen:
Der Mensch braucht ein Plätzchen, und wär`s noch so klein, von dem er kann sagen: Sieh hier, das ist mein. Hier leb ich, hier lieb ich, hier ruh ich mich aus, hier ist meine Heimat, hier ist mein Zuhaus.
Im Herbst dieses Jahres zog die Familie um in das „Carnapsche Haus“ am Mäuerchen 10. Claire war die zurückhaltende, vornehme Gattin eines angesehenen Kaufmanns und führte ein großes Haus mit häufigen Gästen. Die Familie besaß ein Privatauto und engagierte einen Chauffeur, mit dem sie Ausflüge und Ferienreisen machte. Die Erziehung ihrer Kinder überließ Claire weitgehend einem Kindermädchen – besonders an Luise Kaulbach konnte die Tochter Hilde sich später noch erinnern. Claire zog sich nach dem Mittagessen für gewöhnlich zum Lesen zurück. So war das Verhältnis zu den Kindern nicht besonders innig, und als sie 1921 Zwillinge erwartete, wurde in der Familie natürlich nicht darüber gesprochen. Hilde, die bereits zwölf Jahre alt wurde, und Kurt, der auch schon neun geworden war, wussten trotzdem über alles „Bescheid“ – die Kinder wurden von anderer Seite aufgeklärt.
Im Oktober 1921 wurden Klaus-Albert und Gerd-Alfred geboren, was der stolze Vater Bernhard am Telefon mit den Worten „Ich habe Zwillinge bekommen“ verkündete. Claire und Bernhard ermöglichten allen ihren Kindern den Besuch des Gymnasiums. Die Tochter Hilde studierte Bibliothekswissenschaften und promovierte im Juli 1934 zum Dr. phil., der Sohn Kurt wurde Kaufmann. Die spät geborenen Zwillinge Gerd und Klaus hatten keine Möglichkeit mehr, eine Ausbildung nach ihrer Neigung zu machen, sondern passten sich in ihrem Exilland Palästina den Notwendigkeiten an und wurden Maschinenschlosser; ihre Namen änderten sie in hebräische Namen: „Uri“ und „Arie“.
Als die Tochter Hilde 1935 Norbert Wohlgemuth heiratete, fuhr Claire allein zur Hochzeit nach Berlin, denn ihr Mann Bernhard war wegen der „Arisierungsverhandlungen“ unabkömmlich. Die Eheleute Heimann lebten seit 1935 zunehmend eingeschränkt. Ihre Kinder versuchten immer wieder, sie aus dem Land zu holen. 1936 waren sie zu Besuch bei Hilde in Schweden, die damals schon in Stockholm lebte. Diese konnte sich noch erinnern, dass ihre Mutter auf der Zugfahrt einen Ring auf der Toilette verloren hatte. 1938 feierten sie, wieder in Stockholm, den 70. Geburtstag des Vaters. Dort erhielt Bernhard einen Telefonanruf seines Bruders, der ihm mittelte, dass sie als Juden nun gänzlich aus der Geschäftswelt ausgeschlossen waren.
Als in Elberfeld bekannt wurde, dass sich statt der altrenommierten Firma Gebr. Kaufmann eine holländische und noch dazu katholische Firma im Geschäftshaus in der Herzogstraße befinden werde, fühlten sich viele gute evangelische Bürger Elberfelds betrogen: „Jetzt haben wir einen weißen Juden statt eine schwarzen“ war die geläufige Redensart,
schrieb die Tochter Hilde Rohlén-Wohlgemuth, geb. Heimann später in ihrer Studie über das väterliche Geschäft (S. 139).
Wieder – und zum letzten Mal – versuchten die Kinder vergeblich, ihre Eltern zum Bleiben im sicheren Schweden zu überreden. Die wirtschaftlichen Verhältnisse verschlechterten sich zusehends, und die Heimanns zogen in eine kleinere Wohnung in der Herzogstraße 16/18 um, das dem jüdischen Kaufmann Emil Goldschmidt gehörte.
Im Frühjahr 1941 erlitt der mittlerweile 73-jährige Bernhard einen Schlaganfall. Er wurde bettlägerig und erholte sich nicht mehr. Am 9. November 1941 starb er und wurde auf dem jüdischen Friedhof am Weinberg bestattet. Claire blieb allein zurück – die Tochter war in Schweden, die Söhne in Palästina.
Am Dienstag, den 21. April 1942 wurde Claire Heimann mit vielen weiteren Wuppertaler Jüdinnen und Juden in das ostpolnische Städtchen Izbica bei Lublin deportiert.
Meine Mutter schrieb mir vor ihrer Deportation, wie gut sie sich für die „Arbeit“ im Osten vorbereite: Sie kaufte sich neue Brillen und ließ sich neue Dauerwellen machen. Dies bestätigte mir noch 1981 ihr Friseur Sprenger, der mir auch erzählte, dass meine Mutter immer am späten Abend, wenn er keine anderen Kunden mehr hatte, zu ihm kam, da sie so beschämt war. Ähnliches berichteten mir auch 1951 Augenzeugen, die sie vor 1942 beobachtet hatten. Sie schlich nach sechs Uhr abends an den Hauswänden entlang zu einem ihrer Lebensmittelgeschäfte, die ihr als alter, guter Kundin oft einige Lebensmittel unter dem Ladentisch verwahrt hatten.
(Hilde Rohlén-Wohlgemuth, geb. Heimann, S. 141)
Nach ihrer Ankunft in Izbica schrieb Claire Heimann noch einmal eine Karte an ihre Tochter mit der Bitte um Geld:
Meine Lieben! Nach dreitägiger Fahrt sind wir Freitagabend hier angekommen. Ich habe reichlich zu essen mit und bis heute davon gelebt. Erkundigt Euch bitte, ob Ihr was schicken könnt, wichtig ist auch Geld, evt. müssen Eure Freunde helfen. Wir sind erst provisorisch untergekommen. Ihr könnt aber doch an untenstehende Adresse schreiben. Vor allen Dingen schreibt Antwortkarten. Wie geht es Euch und den Jungen, habt Ihr meine letzte Karte ab Elberfeld bekommen? Nun die Adresse. Cl. H. Izbica am Wieprz, Distrikt Lublin.
Das Geld, das Hilde Wohlgemuth ihr daraufhin schickte, ist wieder zurückgekommen, die Lebensmittel nicht. Claire war 55 Jahre alt, als sie, vielleicht schon im Ghetto von Izbica, gestorben ist, vielleicht wenig später im Vernichtungslager Sobibór ermordet wurde.
Bildnachweis
- Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal
- Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal
- Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal
Quellen
Archiv Begegnungsstätte Alte Synagoge