Hermann Wistinetzki
Hermann Wistinetzki wurde am 5. Mai 1876 als eins von fünf Kindern der Eheleute Josef und Rachel Wistinetzki in Thalheim im Erzgebirge geboren.
Verheiratet war er mit der 15 Jahre jüngeren Irma Grünewald. Das Paar hatte zwei Töchter, Ilse und Ellen, die beide rechtzeitig in die USA emigrieren konnten, und einen Sohn, der 1915 geboren worden war und schon nach drei Monaten starb. Sein Grab befindet sich auf dem Kindergrabfeld auf dem jüdischen Friedhof am Weinberg (Feld B/III).
Das „Haus Wistinetzki“ lag am Selmaweg 11 in dem von großbürgerlichen Gründerzeitvillen geprägten Zooviertel. Hermann und Irma Wistinetzki, leidenschaftliche Musikliebhaber, hatten sich ein elegantes Musikzimmer eingerichtet und besaßen wertvolle Gemälde, darunter einige von Düsseldorfer Künstlern. Zuweilen luden die Eheleute zu Hauskonzerten in ihre Villa ein, und so berichtete die „CV-Zeitung“ am 8. März 1934:
Im Hause Hermann Wistinetzki legten Professor Michael Wittels (Klavier) und Siegfried Urias (Bariton) Proben ihrer hohen Kunst ab. Das Niveau des Abends hätte jedem öffentlichen Konzert Ehre gemacht. Wittels trug Bachs B-dur-Partita mit der strengen Sauberkeit vor, die dieses Werk erfordert, ohne jede Virtuosen-Eigenwilligkeit, die manche Bach-Interpretationen so unleidlich stört. Vielleicht die schönste Leistung Wittels` an diesem Abend war der letzte Satz, der in wundervoller Transparenz aufleuchtete. Im zweiten Teil gab Wittels Chopin, ein Impromptu, eine Berceuse, eine Nocturne und schließlich die G-moll-Ballade. Er zeigte sich als einfühlender und leidenschaftlicher Chopin-Spieler, der der perlenden Leichtigkeit und der dramatischen Wucht dieses für den Pianisten ergiebigsten Tonschöpfers in gleicher Weise gerecht wurde. Urias ist ein Heldenbariton, wie er sich in Deutschland sicherlich selten findet. Eine Stimme, deren überraschend mächtiges Volumen mit höchster Kultur der Technik und des Vortrages gemeistert wird. Loewes Ballade vom Archibald Douglas wurde in der Wiedergabe dieses begnadeten Sängers ein kleines, aber im besten Sinne aufwühlendes Musikdrama, und der schlechthin vollkommen dargebotene Prolog aus dem „Bajazzo“ und das erschütternde Credo aus Verdis „Otello“ wurden ebenso hinreißend lebendig wie die zugegebene Arie aus Puccinis „Mantel“.
Hermann Wistinetzki war Teilhaber der 1903 gegründeten renommierten Firma Hirsch & Wistinetzki, eine Großhandelsfirma für Wäsche und Kleider mit eigener Anfertigung in der Hofaue. Mit der Wirtschaftskrise musste Hermann Wistinetzki allerdings Konkurs anmelden. Doch er gründete wieder ein neues Geschäft, das aber keinen Erfolg hatte; in der Hauptsache lebte man nun von Ersparnissen. Ende 1938 musste Hermann Wistinetzki das Geschäft endgültig schließen.
Seine beiden Töchter emigrierten in die USA. Am 26. Juni 1941 starb Hermann Wistinetzkis Frau an einem Herzanfall. Ihr Grab befindet auch auf dem jüdischen Friedhof am Weinberg (Westseite 3). Der Witwer verkaufte seinen restlichen Besitz und mietete sich in einer Pension in der Königstraße 187 ein. Zuletzt wohnte er in der „Straße der SA“ 18 (heute Friedrich-Ebert-Straße).
Am 21. April 1942 musste Hermann Wistinetzki mit seinem Gepäck und Proviant zum Bahnhof Steinbeck kommen. 60 Jüdinnen und Juden aus Wuppertal, dazu je eine Person aus Remscheid, Neviges, Velbert und Hattingen mussten sich an diesem Frühlingsmorgen dort einfinden und wurden zunächst nach Düsseldorf gebracht, wo sie improvisiert auf dem Schlachthofgelände Derendorf übernachten mussten.
Am nächsten Tag wurde ein Transport mit insgesamt 387 Männern und 664 Frauen zusammengestellt, der den Bahnhof Derendorf am 22. April 1942 um 11.06 Uhr verließ. Die Route führte über Erkrath, Hagen, Paderborn, Northeim, Nordhausen, Halle (Saale), Cottbus, Sagan, Lissa, Ostrowo, Widzew, Skarzysko Kamienna, Radom, Deblin und Lublin nach Izbica. Nach ihrer Ankunft im Ghetto schrieben manche der Verschleppten Postkarten nach Hause, die auch ihr Ziel erreichten. Sie beweisen, dass die Menschen noch etwa sechs Monate am Leben geblieben sind, ehe sie im Oktober 1942 zu einem Vernichtungslager im Distrikt Lublin – vermutlich nach Sobibór – transportiert und dort sofort ermordet wurden.
Hermann Wistinetzki wurde 66 Jahre alt.
Quellen
Stadtarchiv Wuppertal: Akten für Wiedergutmachung 606951 | Archiv Begegnungsstätte Alte Synagoge: Deportationsliste Izbica | Gottwaldt, Alfred/ Schulle, Diana: Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005 | https://www.geni.com/people/Hermann-Wistinetzki/6000000186572078823