Rosalie Nathan
Rosalie Nathan wurde am 6. Juni 1897 in Barmen geboren. Über ihren familiären Hintergrund ist praktisch nichts bekannt. Sie wohnte in der Großen Flurstraße 5 in Barmen in direkter Nachbarschaft zum Rathaus. In diesem Haus, das im Jahr 1940 Hermann Zietzling gehörte, befand sich im Erdgeschoss das Herd- und Ofengeschäft von Wilhelm Breitenbach und die Eiergroßhandlung von Heinrich Telges.
Noch 1932 hatte das Haus und auch die Eiergroßhandlung dem jüdischen Kaufmann Julius Isaak Krieger aus Galizien gehört. Unter dem Druck der nationalsozialistischen Boykott- und Verdrängungspolitik gab Krieger sein Geschäft auf und emigrierte mit seiner Frau Rosa, geb. Lorbeerblatt und seinem 1920 geborenen Sohn nach Belgien. Doch in Brüssel erlitt er am 18. November 1939 einen tödlichen Unfall. Seine Frau, sein Sohn und seine beiden älteren Töchter Charlotte, verh. Kamp (*1904 in Berlin) und Frieda, verh. Schimmel (*1907 in Barmen) überlebten alle.
1940 wohnte auf der ersten Etage die Druckereibesitzerin Witwe Gottfried Kriegeskorte, auf der zweiten der Steindrucker Wilhelm Bell und der jüdische Kaufmann Philipp Kadisch. Anzunehmen ist, dass Rosalie Nathan eine Untermieterin von Philipp Kadisch war, denn sie selbst taucht in keinem der Wuppertaler Adressbücher namentlich auf.
Auf der dritten Etage des Hauses wohnte der Obergerichtsvollzieher Wilhelm Dittmar mit seiner Familie, und auf der vierten vier Parteien: eine Frau Alfred Besenbruch, der Anstreicher Hugo Henn, der Kaufmann Friedrich Walter Stracke und der Angestellte Karl Thauwald.
Ob sie Notiz davon genommen haben, als Rosalie Nathan am Montag, den 10. November 1941, das Haus verlassen musste, weil sie zum Bahnhof Steinbeck befohlen worden war, ist ungewiss. Ihr jüdischer Vermieter Philipp Kadisch wird den Abschied aber ganz sicher in großer Sorge und mit Bestürzung erlebt haben. Beschwert mit Gepäck und Proviant traf Rosalie Nathan am Bahnhof auf Hunderte Juden und Jüdinnen aus Wuppertal und den bergischen Nachbarstädten, mit denen sie nun nach Minsk deportiert wurde.
Das Ghetto in Minsk war von den deutschen Besatzern im Sommer 1941 auf zwei Quadratkilometern eingerichtet worden. Rund 75.000 jüdische Menschen lebten in Minsk, von denen die meisten ins Ghetto umziehen mussten. Im Herbst und Winter kamen dann noch sieben Deportationszüge mit rund 7000 Jüdinnen und Juden aus dem „Altreich“ hinzu. Die Lebensverhältnisse in den aus Stein oder Holz erbauten Häusern waren katastrophal.
Wer am Leben bleiben durfte, musste in ein besonderes Ghetto etwas abseits vom Hauptghetto ziehen, das in fünf Abteilungen entsprechend der Herkunft der Transporte eingeteilt war: Hamburg, Berlin, Bremen, Wien und eben Rheinland. Von diesen Ghettobewohnern starben die meisten durch Erschießungs- und auch Vergasungsaktionen (durch KFZ-Motorabgase) Ende Juli 1942, am 8. März 1943 und im Herbst 1943.
Die meisten der Opfer aber kamen gar nicht erst ins Ghetto, sondern wurden mit dem Zug direkt in das 12 km südöstlich von Minsk gelegene Maly Trostenez gebracht und dort ermordet, in der Regel bei Erschießungsaktionen. Das Schicksal der wenigen, die in ein Arbeitslager geschickt wurden, ist unbekannt.
Rosalie Nathan war 44 Jahre alt, als man sie deportierte.
Ihr Nachbar Philipp Kadisch wurde im Juli 1942 ebenfalls zum Bahnhof Steinbeck bestellt – da lebte er schon zwangsweise im Haus von Dr. Eugen Rappoport in der Bleicherstraße 10. Er wurde zunächst in das Ghetto Theresienstadt deportiert und im Mai 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz, wo er vermutlich sehr bald ermordet wurde.
Quellen
Archiv Begegnungsstätte Alte Synagoge: Deportationsliste Minsk