Deportationen
- Überblick
- Sonntag, 26. Oktober 1941: Die Deportation nach Litzmannstadt/ Łódź
- Montag, 10. November 1941: Die Deportation nach Minsk
- Dienstag, 21. April 1942: Die Deportation nach Izbica
- Montag, 20.7.1942: Die Deportation nach Theresienstadt
- Die Deportation der letzten Juden aus Wuppertal am 17. September 1944
Überblick
Nur einen Monat nach der Einführung des „Judensterns“, also noch einige Monate vor dem 20. Januar 1942, dem Tag der berüchtigten „Wannseekonferenz“, begann der NS-Staat damit, die jüdische Bevölkerung aus dem Deutschen Reich in den Osten zu deportieren. Die meisten der deportierten Menschen kamen zunächst in Ghettos im besetzen Polen, in Weißrussland und in Lettland. Wer nicht schon dort umkam, wurde später in eins der Vernichtungslager verbracht und dort ermordet. Ab Ende 1942 fuhren Züge auch direkt vom Westen in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.
Zuständig für die Organisation der Deportationen waren vor allem zwei staatliche Behörden: Die von Adolf Eichmann geleitete Abteilung IV B 4 des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) und die seit 1937 in das Reichsverkehrsministerium eingegliederte Deutsche Reichsbahn. Das Schienennetz, die Verfügbarkeit von Eisenbahnzügen und eine reibungslos funktionierende Bürokratie der Deutschen Reichsbahn waren die Voraussetzung für die Transporte in die Vernichtungslager. Weitere maßgebliche Beteiligte und Mitwisser waren die Beamten der Gestapo und des Zolls, Gerichtsvollzieher, VerwaltungsbeamtInnen, Polizisten und andere, darunter auch viele Frauen.Vgl. Holger Berschel: Bürokratie und Terror. Das Judenreferat der Gestapo Düsseldorf 1935-1945, Essen 2001, vor allem S. 362-428.
Am 23. Oktober 1941 war den Juden im Deutschen Reich und in den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten die Auswanderung in ein sicheres Land verboten worden. Schon drei Tage später, am 26. Oktober, hatten sich in Wuppertal auf Befehl der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) 200 Menschen am Bahnhof Steinbeck einzufinden – aus Wuppertal 159, aus Solingen 17 und aus Remscheid 24. Darunter waren 46 Familien und insgesamt sieben Kinder unter sechs Jahren. In Personenzügen wurden sie zunächst nach Düsseldorf-Derendorf auf das Schlachthofgelände gebracht, wo sie eine Nacht verbringen mussten. Am nächsten Morgen ging ein großer Transportzug mit 1.003 Juden aus dem gesamten Rheinland in die ehemals polnische Stadt Łódź, die nach der Besetzung Polens in „Litzmannstadt“ umbenannt worden war. Von diesem Transport überlebte niemand: Die meisten Menschen wurden in den Vernichtungslagern Chełmno oder Auschwitz ermordet oder kamen im Ghetto um.
Auch wenn die Deportation von Juden aus dem Westen des Deutschen Reichs nach Łódź genau genommen nicht die erste war – denn schon im Oktober 1938 waren rund 17.000 polnische Juden nach Polen abgeschoben worden – setzte mit ihr und den folgenden Transporten die zunehmend straff organisierte und durchgeführte „Umsiedlungsaktion“ der deutschen Juden ein, die schließlich in den Holocaust führen sollte.
Zwei Wochen später, am 10. November 1941, wurden vom Bahnhof Wuppertal-Steinbeck aus 266 Menschen in das weißrussische Minsk deportiert: 244 aus Wuppertal, zwölf aus Remscheid, neun aus Velbert und eine Frau aus Wülfrath. Im Winter setzten die Deportationen einige Monate aus. Aber am 21. April 1942 ging ein weiterer Transport, dieses Mal mit 64 Personen, in das ostpolnische Städtchen Izbica: 60 aus Wuppertal und je eine aus Remscheid, Neviges, Velbert und Hattingen. Auch von ihnen überlebte niemand. Der vorläufig letzte Transport vom Bahnhof Steinbeck führte am 20. Juli 1942 in das Ghetto von Theresienstadt. 271 Menschen waren betroffen, überwiegend ältere: 247 aus Wuppertal, 14 aus Remscheid, sieben aus Solingen und je einer aus Velbert, Neviges und Heiligenhaus. Einige von ihnen nahmen sich vor der Deportation noch in Wuppertal das Leben, andere starben auf der Fahrt oder kurze Zeit später im Ghetto. Die meisten wurden in den Vernichtungslagern Treblinka oder Auschwitz-Birkenau vergast. Nur sieben Menschen haben dieses Ghetto überlebt.
Nach dem Transport vom 20. Juli 1942 nach Theresienstadt lebten in Wuppertal nur noch Juden, die mit einer „arischen“ Ehefrau bzw., bei Frauen, einem „arischen“ Ehemann verheiratet waren oder die einen „arischen“ Elternteil hatten. Sie waren vorerst durch ihre „arische“ Verwandtschaft geschützt, wurden aber am Sonntag, den 17. September 1944 ebenfalls verhaftet und deportiert. Die meisten von ihnen überlebten.
Sonntag, 26. Oktober 1941: Die Deportation nach Litzmannstadt/ Łódź
Am 11. Oktober 1941 hatte die Geheime Staatspolizeileitstelle Düsseldorf an die verschiedenen Außenstellen, u.a. in Wuppertal, und an die Grenzpolizeikommissariate in einem dreiseitigen Schreiben die Organisation der ersten „Evakuierungsaktion“ von Juden aus dem Rheinland in das Ghetto von Łódź bestimmt: Mit einem Sonderzug sollten am 27. Oktober 1941 um 7.50 Uhr ab Düsseldorf-Derendorf 1000 Juden zum Abtransport bereit stehen, aus Essen 250, aus Mönchengladbach 75, aus Duisburg 50, aus Krefeld 50, aus Oberhausen 50, aus Düsseldorf 250, aus den Landkreisen 75 und aus Wuppertal 200, darunter auch Menschen aus den Bergischen Nachbarstädten. Unter den betreffenden Juden sollten keine sein, die in „deutsch-jüdischer Mischehe“ lebten, die eine ausländische Staatsbürgerschaft besaßen oder die sich in einem „geschlossenen Arbeitseinsatz“ in einem „wehrwichtigen“ Betrieb befanden. Außerdem sollten keine Juden über 68 Jahre ausgewählt werden. Der Transport von Wuppertal nach Düsseldorf sollte am 26. Oktober 1941 abgehen.Genger, Angela/ Jakobs, Hildegard (Hg.): Düsseldorf | Getto Litzmannstadt 1941, Essen 2010.
Die jüdische Verwaltung mit Sitz in der Straße der SA 43 hatte auf Anweisung der Gestapo den in Wuppertal verbliebenen Jüdinnen und Juden einen Brief zu schreiben, um sie über das Vorhaben zu informieren und zum Termin an den Bahnhof zu bestellen. Angesichts der Aussichtslosigkeit ihrer Lage nahmen sich einige von ihnen zuvor das Leben: die Geschwister Siegfried, Laura und Hedwig Michelson aus der Weststraße 76, die 62jährige Selma Arronge aus der Charlottenstraße 78 in der Elberfelder Nordstadt, und noch am Tag vor der geplanten Deportation, am 25. Oktober, Emma Stern, geb. Daniels, aus der Viktoriastraße 45.
Die Deportationsliste wurde entsprechend geändert – die Namen der fünf Betroffenen fehlen. Verzeichnet sind aber dafür Ester Ettel Oschkowski und ihr dreijähriger Sohn Samuel, obwohl sie nicht auf dem Transport waren, weil ihnen kurz vor der Abfahrt des Zuges die Flucht gelang.
Doch die meisten Wuppertaler Jüdinnen und Juden leisteten dem Deportationsbefehl Folge, mehr oder weniger entmutigt oder mit einem letzten Rest an Hoffnung.
Noch am 23. Oktober 1941 heirateten Gertrud Winter und Martin Herzfeld. Und selbst im Ghetto wurden Ehen geschlossen – vielleicht aus Liebe oder weil man sich davon Erleichterung oder gar Rettung versprach: Am 16. November 1941 heirateten Erna Fuks und Hans Ludwig Jacob, am 5. Mai 1942 Else Adler und Leo Rosenbaum. Wann Alex Berger und die Düsseldorferin Berta Daniel, geb. Pelz (*9.6.1882 in Mainz) im Ghetto heirateten, ist nicht dokumentiert.
160 Wuppertaler jüdische Männer, Frauen und Kinder wurden also am Sonntag, den 26. Oktober 1941, zusammen mit weiteren aus Remscheid und Solingen vom Bahnhof Steinbeck aus nach Düsseldorf verbracht. Das jüngste Kind, Denny Bernhard, war gerade zwei Jahre alt. Die eingeschüchterten Menschen mussten im Schlachthofgelände am Bahnhof Düsseldorf-Derendorf übernachten, bevor sie am nächsten Morgen um 7.50 Uhr zusammen mit über 1000 Juden aus dem Gestapobezirk Düsseldorf in das „Ghetto Litzmannstadt“ (Łódź) deportiert wurden, wo sie sich in leergeräumten Wohnungen irgendwie provisorisch einrichteten. Was mitgenommen werden durfte, hatte die Gestapo zuvor genau festgelegt:
Zahlungsmittel bis zu 100 RM, ein Koffer mit Ausrüstungsstücken, (kein sperrendes Gut) bis zu 50 kg. Vollständige Bekleidung, Bettzeug mit Decke, Verpflegung für 8 Tage (Brot, Mehl, Graupen, Bohnen – keine Kartoffeln -). Nicht mitgenommen werden dürfen: Wertpapiere, Devisen, Sparkassenbücher usw., Wertsachen jeder Art (Gold, Silber, Platin mit Ausnahme des Eherings), lebendes Inventar, Lebensmittelkarten (diese sind vorher abzunehmen und den örtlichen Wirtschaftsämtern zu übergeben). Es ist darauf zu achten, dass nicht mehr Gepäck (einschl. der Verpflegung für 8 Tage, die gesondert verpackt werden muss) mitgenommen wird, als jeder einzelne Jude für seinen selbständigen Weg zu tragen in der Lage ist. […] Ferner ist das Bargeld des Transports in einer Summe anzugeben. […] Die staatspolizeiliche Sicherstellung des Vermögens wird von den Juden anhand der übergebenen Vordrucke durchgeführt. Die ausgefüllten Vermögenserklärungen sind bis zum 18.10.1941 nach hier einzusenden. Die Wohnungen der zu evakuierenden Juden sind sofort nach Verlassen zu verschliessen und zu versiegeln. Die Wohnungsschlüssel werden beim Hauseigentümer, Hausverwalter oder Hausbeauftragten abgegeben.Landesarchiv NRW, RW 36-19, Bl. 66-68.
Die leeren Wohnungen in Wuppertal wurden konfisziert und das verbliebene Vermögen, sofern überhaupt noch welches vorhanden war, eingezogen. Keiner der Juden, die mit diesem Transport nach Łódź deportiert wurden, hat überlebt. Sie hatten dort Zwangsarbeit zu leisten, litten unter vollkommen unzureichender Ernährung, Kälte und mangelnder medizinischer Versorgung, starben an Entkräftung im Ghetto oder wurden bei einer der berüchtigten „Aussiedlungsaktionen“ in die Vernichtungsstätte Chełmno oder Auschwitz-Birkenau verschleppt und dort ermordet. Auch die meisten derjenigen, mindestens 30 Menschen, die schon in den Jahren zuvor von Wuppertal nach Polen eingewandert, geflüchtet oder abgeschoben und in das Ghetto eingewiesen worden waren, kamen dort um oder wurden in einem der Vernichtungslager ermordet. Überlebende des Ghettos aus Wuppertal waren Georg Isy Aronowitz, Marianne Fassbender und Wolfgang Tyger.
Ein groß angelegtes Forschungsprojekt der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf hat zu rekonstruieren versucht, wie das Leben der Menschen im Ghetto von Łódź weiterging. Die Leiterin des Projekts, Hildegard Jakobs, schreibt dazu:
Das Ghetto – ein zunächst rund sieben, dann etwa vier Quadratkilometer großer eingezäunter Bereich im ärmsten Viertel der Industriestadt Łódź – war zwischen Februar und April 1940 errichtet worden. Eine Vielzahl von Betrieben – sogenannte Ressorts – war nach und nach geschaffen worden, in denen die Ghettobewohner für die deutsche (Kriegs-)Wirtschaft arbeiten mussten. Überlebenschancen hatten meist nur diejenigen, die eine Arbeit fanden. Bis Oktober 1941 lebten ca. 160.000 polnische Juden im Ghetto. Zwischen dem 16. Oktober und 5. November 1941 kamen über 20.000 Juden aus dem deutschen Reichsgebiet (dem „Altreich“) dazu. Der „Düsseldorfer Transport“ war der 13te Transport der Reihe von insgesamt 20 Transporten, die aus Österreich, Luxemburg und der Tschechoslowakei, aus Berlin, Köln, Hamburg, Frankfurt und Düsseldorf dort eintrafen. Die Transporte wurden im Ghetto in so genannte „Kollektive“ umbenannt und die meisten zunächst gemeinsam jeweils in Massenunterkünfte eingewiesen, das „Düsseldorfer Kollektiv“ in die früheren Volksschulgebäude Fischstraße 15 und Fischstraße 21. Bis zu siebzig Personen in ein Klassenzimmer. Bei der Ankunft gab es keinerlei Einrichtung, keine Schränke, Tische, Stühle oder Betten, kein fließendes Wasser, keine Kochgelegenheit. Eine Wasserpumpe und drei Latrinen befanden sich im Hof.
Die Lebenswege der 1.003 Deportierten des „Düsseldorfer Transports“ und die Vorgeschichte dieser ersten Deportation sind in einem großangelegten Forschungsprojekt recherchiert und publiziert worden.
193 Mitglieder des „Düsseldorfer Kollektivs“ starben im Ghetto an den Folgen von Krankheiten und Unterernährung, 474 wurden im Mai 1942 während der ersten Ermordungsaktion im ca. 60 Kilometer westlich gelegenen Vernichtungslager Chełmno (Kulmhof) ermordet. Weitere 160 fielen der Ermordungsaktion vom September 1942 zum Opfer; 57 wurden im Juni/Juli 1944 in den letzten Ermordungsaktionen in Chełmno ermordet und weitere 69 wurden im August 1944 nach Auschwitz deportiert – mindestens 20 von ihnen überstanden die erste „Selektion“ in Auschwitz.https://gedenkbuch-duesseldorf.de/historische-einfuehrung/#27.-oktober-1941:-deportation-nach-litzmannstadt/Łódź (Datum des letzten Aufrufs: 18.7.2024)
Montag, 10. November 1941: Die Deportation nach Minsk
Adolf Hitler selbst bestimmte nach der ersten großen Deportationswelle vom Oktober 1941 die nächsten beiden Deportationsziele: Minsk und Riga. War ursprünglich geplant, 60.000 Jüdinnen und Juden aus dem Deutschen Reich in den „Warthegau“ erneut nach Łódź zu verbringen, musste schon allein aus Platzgründen auf Orte in der besetzten Sowjetunion ausgewichen werden. Schließlich aber sollte genau diese Planung im Interesse der Nationalsozialisten liegen, die Menschen möglichst weit im Osten verhungern zu lassen bzw. zu ermorden.
Zwei Wochen nach der Deportation nach Łódź, am 10. November 1941, wurden 244 Wuppertaler Juden in einem Sammeltransport von 993 Menschen aus dem Gestapobezirk Düsseldorf nach Minsk transportiert. Vor dieser Deportation nahm sich die Wuppertalerin Margarete Dannenberg aus der Weststraße 2 das Leben.
Den Verlauf des Transports hat der begleitende Hauptmann der Düsseldorfer Schutzpolizei, Wilhelm Meurin, in seinem Bericht vom 22. November 1941 detailliert beschrieben. Das Dokument, das entsetzliche Zeugnis eines fanatischen Judenhassers, befindet sich in der „Wiener Library“ in London.Bastian Fleermann: Deportiert von Düsseldorf in das Ghetto von Minsk. Der Transportbericht des Schutzpolizisten Wilhelm Meurin vom Herbst 1941, in: Düsseldorfer Jahrbuch 83 (2013), Sonderdruck.
Das Ghetto in Minsk war von den deutschen Besatzern im Sommer 1941 auf zwei Quadratkilometern eingerichtet worden. Rund 75.000 jüdische Menschen lebten in Minsk, von denen die meisten ins Ghetto umziehen mussten. Im Herbst und Winter kamen dann noch sieben Deportationszüge mit rund 7000 Jüdinnen und Juden aus dem „Altreich“ hinzu. Die Lebensverhältnisse in den aus Stein oder Holz erbauten Häusern waren katastrophal.
Wer am Leben bleiben durfte, musste in ein besonderes Ghetto etwas abseits vom Hauptghetto ziehen, das in fünf Abteilungen entsprechend der Herkunft der Transporte eingeteilt war: Hamburg, Berlin, Bremen, Wien und eben Rheinland. Von diesen Ghettobewohnern starben die meisten durch Erschießungs- und auch Vergasungsaktionen (durch KFZ-Motorabgase) Ende Juli 1942, am 8. März 1943 und im Herbst 1943.
Die meisten der Opfer aber kamen gar nicht erst ins Ghetto, sondern wurden mit dem Zug direkt in das 12 km südöstlich von Minsk gelegene Maly Trostenez gebracht und dort ermordet, in der Regel bei Erschießungsaktionen. Das Schicksal der wenigen, die in ein Arbeitslager geschickt wurden, ist unbekannt.
Von einigen der aus Wuppertal Deportierten ist bekannt, dass sie aus Minsk noch in andere Konzentrationslager verbracht wurden:
Harald Borchardt, geboren 1912, und Siegfried Schwarz, geboren 1916, kamen am 4. August 1944 aus Minsk in das Konzentrationslager Flossenbürg. Borchardt (Gefangenennummer 14257) kam im Außenlager Hersbruck am 8. März 1945 um, Schwarz (Gefangenennummer 16388) im Außenlager Leitmeritz am 23. März 1945. Martin Schönthal, geboren 1888 in Norden in Ostfriesland und wohnhaft in der Bankstraße 2, soll ebenfalls im Konzentrationslager Flossenbürg umgekommen sein, aber ein Beleg dafür fehlt. Günther Silberberg, geboren 1920, kam am 10. August 1944 in das Konzentrationslager Mauthausen und starb dort am 18. November 1944. Es ist nicht auszuschließen, dass auch noch andere der aus Wuppertal deportierten Menschen aus Minsk in andere Lager kamen und dort umkamen. Lediglich zehn der deutschen Juden waren bei der Befreiung von Minsk noch am Leben. Aus Wuppertal war keiner darunter.
Im Abstand von nur wenigen Wochen waren mit den Transporten nach Łódź und Minsk aus Wuppertal 465 jüdische Männer, Frauen und Kinder deportiert worden. Danach betrug die Zahl der jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner in Wuppertal 476.
Ab Dezember 1941, nach einem Massentransport von Düsseldorf nach Riga, der allerdings keine der in Wuppertal lebenden Juden betraf und hier auch keinen Zwischenhalt machte,Die Inschrift auf dem Obelisken am Bahnhof-Steinbeck ist irreführend. musste das Reichssicherheitshauptamt in Berlin für längere Zeit Transporte aussetzen. Alle Waggon- und Schienenkapazitäten waren für die Wehrmacht reserviert. Erst im beginnenden Frühjahr 1942 wurde die „Aussiedlungsaktion“ der Jüdinnen und Juden fortgesetzt, eine Maßnahme, die mit der systematischen Ermordung der polnischen Juden im „Generalgouvernement“ abgestimmt wurde: Dort wurden polnische Dörfer und Städte von ihrer jüdischen Bevölkerung „geleert“, indem man sie in die mittlerweile errichteten Vernichtungsstätten verschleppte. Jetzt wich man auch vom ursprünglichen Plan ab, die im Oktober nach Łódź Deportierten weiter „nach Osten“ zu bringen, sondern ermordete sie in den Gaswagen von Chełmno, sofern sie überhaupt den besonders harten Winter 1941/42 überstanden hatten und noch am Leben waren.
Dienstag, 21. April 1942: Die Deportation nach Izbica
Im Frühjahr nahm die nationalsozialistische Führung das Deportationsprogramm wieder auf. In einem Bericht vom 17. April 1942 über die Besprechungen mit den Reichsbahndirektionen Wuppertal und Köln heißt es:
Mit der Reichsbahndirektion Wuppertal habe ich am 16. und 17.4.42 Rücksprache wegen der Gestellung des Transportzuges von Düsseldorf nach dem Osten genommen. […] Ein von Russland nach Hemer/ Westf. fahrender Russenzug Ru 7340 wird […] für den Transport der 1000 Juden nach Izbica gestellt. – Nach den aufgestellten Fahrplänen laufen die Züge nicht nach Trawniki, sondern nach Izbica, etwa 150 km südöstlich von Trawniki. Das Reichssicherheitshauptamt wurde durch die Hauptverwaltung der D. R. verständigt, dass der Zug für Düsseldorf für den 22.4.1942 bereitsteht und Düsseldorf am 22.4.1942, 11.06 Uhr verlässt. Der Zug läuft am 20. oder 21.4. nach vollständiger Reinigung und Entlausung in Düsseldorf ein. Er hat 20 Personenwagen, die Art der Wagen steht nicht fest, doch hatten die meisten Züge aus dem Osten die verschiedensten Wagentypen, sodaß eine Verladung an der Rampe des Viehhofs nicht möglich ist.
Für den Transport der 70 Juden von Wuppertal nach Derendorf wird der Pz 286 ab Steinbeck 14.39 um einen 4-achsigen oder 2-zweiachsige Wagen verstärkt. Ankunft in Düsseldorf-Hbf 15.20 Uhr.Landesarchiv NRW, A 28/2 Bl. 50.
Tatsächlich wurden am 21. April 1942 64 Menschen vom Bahnhof Wuppertal-Steinbeck nach Düsseldorf verbracht. Am nächsten Morgen verließ ein Zug mit über 1000 Menschen den Bahnhof, um sie über Erkrath, Hagen, Paderborn, Halle, Cottbus, Sagan (heute Żagań), Lissa (Leszno), Ostrowo (Ostrów Wielkopolski), Radom und Lublin nach Izbica zu deportieren.
Kurz zuvor hatten noch vier Mütter – Olga Kesting, Emma Kurek, Änne Baum und Käthe Lewin – gemeinsam schriftlich gegen den Abtransport ihrer Kinder protestiert. Das Reichssicherheitshauptamt reagierte am 21. April 1942 mit der strikten Anordnung, den Frauen unter „Androhung staatspolizeilicher Maßnahmen in entsprechender Weise zu verbieten, weitere Schritte zu unternehmen“. Es gelang den Müttern nicht, ihre Kinder Michael, Edith, Irmgard und Jutta zu retten. Auch die Mutter Agnes Nagel, die sich in einem Telegramm für ihren Sohn Helmut eingesetzt hatte, blieb erfolglos.
Genau an ihrem 60. Geburtstag musste auch Recha Auerbach, die Tochter des langjährigen Rabbiners Dr. Zacharias Auerbach, die in der Zwangsunterkunft Tannenbergstraße 12 wohnte, am Bahnhof Steinbeck erscheinen.
Ihr Neffe Ernest Kahn erinnerte sich später:
Trotz ihrer schweren, halbseitigen Lähmung führte unsere Tante ein aktives Leben. Als wir noch klein waren, sorgte sie sich um uns, wenn die Eltern auf Reisen waren. Sie besuchte das Jüdische Altersheim mit uns und nahm uns mit auf den Friedhof am Weinberg. Zu Hause beschäftigte sie sich mit feiner Handarbeit. Zum Beispiel stickte sie Decken und Kissen für unsere Biedermeiermöbel. Sie war im Jüdischen Frauenbund und Frauenverein sehr interessiert. Wir erinnern uns an eine feine und gleichmäßig gelaunte Person, die Freundschaften schloss und die sich um anderer Menschen Wohlergehen kümmerte. Da Recha von Geburt an linksseitig gelähmt war, konnte sie kein Visum für die USA oder für ein anderes Land bekommen. Sie lebte mit uns, der Familie Kahn. Sie allein zurückzulassen, war eine tieftraurige Entscheidung. Man kann sich nicht vorstellen, was sie zu leiden hatte, als wir abreisten. Das Schlimmste sollte noch kommen. Im Oktober 1941 war sie noch in Wuppertal, und zu der Zeit hatte sie noch Hoffnung auf Auswanderung. Wir versuchten, für sie ein Visum für Kuba zu erhalten, aber das war kurz vor dem Krieg und leider auch nicht möglich.Archiv Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal: Briefe Ilse und Ernst Kahn, 29.3.1999 und 22.1.1999, K 02, MUF 156.
Izbica ist ein kleiner Ort ca. 80 km südöstlich von Lublin im Osten Polens, dessen jüdischer Bevölkerungsanteil unter 6.000 Einwohnern einst 90% betragen hatte. Ab März 1942 wurden, nachdem man die ursprüngliche jüdische Bevölkerung im Zuge der später so genannten „Aktion Reinhardt“ ermordet hatte, bis zu 19.000 Jüdinnen und Juden aus dem Deutschen Reich hergebracht – darunter eben auch die aus dem Rheinland. Manche der Deportierten blieben mehrere Wochen, auch Monate lang, in Izbica, ehe sie vermutlich vor allem im Vernichtungslager Sobibór durch Gas ermordet wurden.
Es existieren mehrere Briefe von Ernst Krombach, der aus Essen mit demselben Transport wie die Wuppertaler in das Ghetto Izbica deportiert wurde. Er beschrieb die Ankunft so:
Abends bei Regenwetter kamen wir in I. an. […] I. ist ein Dorf [, sic] das in einer Talmulde versteckt liegt und früher größtenteils von Juden (polnischen) bewohnt war – ca 3000. Landschaftlich ist es herrlich gelegen. Die „Häuser“ sind größtenteils aus Holz oder Lehm und bestehen aus 1 oder 2 „Zimmern“. Alles verdreckt und verlaust. In einigen wenigen der Luxus von Betten, Tischen, Stühlen oder Schränken. Wir selbst hausen zu 12 Personen. […] in einem 2 x 4 m grossen Höhlenraum. Vorn 2 Tische, 2 selbstgezimmerte Bänke, 4 organisierte Stühle, 1 Herd; mitten auf luxuriösem Holzboden (anders: Lehm) und Strohsäcken die „Betten“. […] Nun zum „Judenstaat“: Bevor der 1. Transport hier einzog, wurde I. von den Polnischen Juden größtenteils gesäubert. D.h. von S.S. mit Knarre und Stöcken. Im März zog nun der 1. Transport hier ein – aus der Tschechoslowakei. […] Dann kamen die Transporte nacheinander: Aachen, Nürnberg, Aachen-Düren, Breslau, Essen, Stuttgart, Frankfurt, 2 x Slowakei, 2 x Theresienstadt usw. […] Von ca. 14000 hier angekommenen Juden sind heute nur noch ca. 2-3000 da. Diese Leute gehen mit noch weniger in Viehwagen und schärfster Behandlung hier los, d.h. mit dem, was sie am Leibe tragen. […] Die Verpflegung bildet für alle hier eine Hauptsorge. Viele, die an Unterernährung zu Grunde gehen. […] Wer kein Geld, keine Verwandten oder Bekannten in Deutschland hat, der Sachen schickt, nichts mehr zum Verkaufen hat, kann verhungern – oder stiehlt.Zitiert aus Mark Roseman: In einem unbewachten Augenblick. Eine Frau überlebt im Untergrund, Berlin 2002, S. 230-234.
Von den Menschen, die mit Transporten aus allen Gebieten Deutschlands in den Distrikt Lublin deportiert worden waren, wurden weniger als 20 Personen gerettet. Soweit bekannt, war niemand aus Wuppertal darunter. Letzte Spuren sind seltene Postkarten, die die Verschleppten nach Hause schickten.
So schrieb z.B. Claire Heimann aus Wuppertal-Elberfeld, die in der Herzogstraße 16/18 gewohnt hatte, an ihre Tochter Hilde und deren Mann nach Schweden:
Meine Lieben! Nach dreitägiger Fahrt sind wir Freitagabend hier angekommen. Ich habe reichlich zu essen mit u. bis heute davon gelebt. Erkundigt Euch bitte, ob Ihr was schicken könnt, wichtig ist auch Geld, evt. müssen Eure Freunde helfen. Wir sind erst provisorisch untergekommen. Ihr könnt aber doch an untenstehende Adresse schreiben. Vor allen Dingen schreibt Antwortkarten. Wie geht es Euch und den Jungen, habt Ihr meine letzte Karte ab Elberfeld bekommen? Nun die Adresse. Cl. H. Izbica am Wieprz, Distrikt LublinArchiv Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal: H 20.
Das Ehepaar Harry und Adele Renberg aus der Jägerstraße 9 in Elberfeld schrieb an Verwandte in den Niederlanden:
Meine Lieben! Soweit wären wir nun nach langer, anstrengender Fahrt. Von dem Schrecken müssen wir uns erst erholen, alle Erwartungen sind übertroffen. Päckchen und Geld dürfen wir haben, Seife, Zahnbürsten etc. sind sehr erwünscht. Auch getragene Blousen u. Schürzen, für alles haben wir Verwendung. Ihr braucht nicht lange zu überlegen, was Ihr schickt, es fehlt alles, weil unsere Sachen nicht angekommen. Verschiedene Familien haben von Holland nach hier alles Mögliche erhalten. Die schönen Frühlingstage helfen uns über manches Unangenehme hinweg. Jetzt werden wir mit sieben Anderen versuchen, tapfer auszuharren, bis so Gott will die Erlösung kommen wird. Hoffentlich erhaltet Ihr dies Kärtchen bei guter Gesundheit, wie es uns verlässt. Herzliche Grüße Harry und Adele.Ebd. Archiv Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal: R 06.
Der Ort Sobibór liegt im östlichen Polen an der Grenze zu Weißrussland. Das gleichnamige Vernichtungslager wurde im Frühjahr 1942 errichtet und spätestens am 6. Mai 1942 in Betrieb genommen. Es war, mit Bełżec und Treblinka, eins der drei Vernichtungslager der „Aktion Reinhardt“, deren einziger Zweck es war, Juden zu töten und die Körper restlos zu beseitigen. Es gab keine Selektionen, die Tötungsmethode war die Einleitung von Benzinabgasen in die Gaskammern. Diese Lager unterstanden der Kanzlei Adolf Hitlers, die SS-Obergruppenführer Philipp Bouhler leitete. Er war auch verantwortlich für die „Aktion T4“ (Ermordung behinderter Menschen) und „Aktion 14f13“ (die Ermordung der als nicht mehr arbeitsfähig selektierten Häftlinge in Konzentrationslagern).
Im Vernichtungslager Sobibór wurden Juden aus dem Distrikt Lublin, aus dem Ghetto Theresienstadt und aus Minsk ermordet, aber auch viele derjenigen, die aus Deutschland in die Niederlande geflüchtet, verhaftet und in das Durchgangslager Westerbork verbracht worden waren.
Am 22. Oktober 1942 wurde das Ghetto Izbica „geräumt“. Zusammen mit Jüdinnen und Juden aus der Region Lublin, die am Ende auch getötet wurden, ermordeten SS-Einheiten bei Massenerschießungen alle früheren GhettobewohnerInnen.
Montag, 20.7.1942: Die Deportation nach Theresienstadt
Am 12. Juli 1942 teilte die jüdische Verwaltung ihren Mitgliedern in einem Brief mit:
Im Auftrag der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Düsseldorf, Aussendienststelle Wuppertal, teilen wir Ihnen mit, dass sämtliche Juden des Bezirks, soweit sie nicht in Mischehe leben, zu einem Transport nach Theresienstadt eingeteilt sind. Der Transport für den Bezirk Wuppertal geht ab am Montag, den 20. Juli 1942, ab Bahnhof Elberfeld-Steinbeck. Die Teilnehmer versammeln sich am 20.7.42, vormittags 8.30 Uhr auf dem Vorplatz des Bahnhofs Steinbeck (nicht auf dem Bahnsteig), sie müssen zu diesem Zeitpunkt dort eingetroffen sein. […]Archiv Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal: Sammlung Föhse UF M 18.
247 Wuppertaler Juden und Jüdinnen wurden an diesem Montag zunächst nach Düsseldorf verbracht, dazu noch sieben Personen aus Solingen, 14 aus Remscheid, je eine aus Velbert, Neviges und Heiligenhaus. Von Düsseldorf fuhr am nächsten Tag um 10.17 Uhr ein neu zusammengestellter großer Deportationszug mit insgesamt 966 Personen aus Düsseldorf, Essen, Oberhausen und Wuppertal nach Theresienstadt (Terezín). Direkt aus Düsseldorf fuhren noch weitere Züge ohne Zwischenhalt in Wuppertal in das Ghetto Theresienstadt am 25. Juli 1942, im Juni und September 1943 und ein letzter im Januar 1944.
Im zweiten Transport direkt von Düsseldorf nach Theresienstadt am 25. Juli 1942 waren auch zwei Wuppertalerinnen: Laura Helene Bach, die in der Bockmühle 75 gewohnt hatte, und Selma Hartmann aus der Straße der SA 150 (heute Friedrich-Ebert-Straße). Während Laura Bach am 30. April 1943 im Ghetto umkam, hatte Selma Hartmann unwahrscheinliches Glück und erlebte im Ghetto die Befreiung.Theresienstädter Gedenkbuch. Die Opfer der Judentransporte aus Deutschland nach Theresienstadt 1942-1945, Prag 2000, S. 461.
Auch Adolf Rubens und Wilhelmine Leven stellen eine Ausnahme im Vernichtungsplan der Nationalsozialisten dar: In einer Gruppe von rund 1.200 Theresienstädter Häftlingen wurden sie am 5. Februar 1945 in die Schweiz und damit in die Freiheit entlassen. Heinrich Himmler persönlich hatte, vor dem Hintergrund der drohenden militärischen Niederlage Nazi-Deutschlands, Verhandlungen mit Jean Marie Musy aufgenommen, dem ehemaligen Vorsitzenden des Schweizerischen Bundesrates. Gegen die Preisgabe einer gewissen Zahl an Juden wollte er sich günstigere Voraussetzungen für einen Waffenstillstand erkaufen. Für diejenigen 1.200 Menschen, die am 5. Februar 1945 dann tatsächlich in die Schweiz abfuhren, bedeutete dies eine unerwartete Erlösung.
Die Wuppertalerinnen Cäcilie Popielarz, Mathilde Walter, Olga Weinschenk und Helene Wertheim hatten ihrer stabilen Gesundheit und guten körperlichen Konstitution zu verdanken, dass sie bis zur Befreiung des Ghettos am Leben blieben. Auch Wuppertaler, die aus anderen Städten nach Theresienstadt deportiert worden waren, haben wie durch ein Wunder überlebt, z.B. Ursula Metzger und der spätere langjährige Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde Wuppertal, Heinz Bleicher.
Eine ganz besondere Überlebensgeschichte ist die von Antonie Römer. Sie wurde im Mai 1944 aus dem Ghetto entlassen, weil ihr Sohn Alfred unermüdlich mit der Hilfe eines bislang nicht genauer identifizierbaren Wuppertaler Polizeiinspektors mit Namen Dreiling um die Freilassung seiner Mutter gekämpft hatte, unter anderem, indem sie ihre Abstammungsnachweise gefälscht hatten. Eine solche „vorzeitige Entlassung“ ist unter den über 42.000 deutschen Häftlingen in Theresienstadt überhaupt nur in drei Fällen nachgewiesen.
Doch zu überleben, war auch im Ghetto-KZ Theresienstadt nicht vorgesehen. Zwar ließen die Nationalsozialisten die Gründung kultureller und sozialer Einrichtungen zu, behielten diese aber unter strengster Kontrolle und Zensur und nutzen sie ausschließlich zu Propagandazwecken mit Blick auf das Ausland. In Wirklichkeit waren auch die Juden im Ghetto Theresienstadt zur Vernichtung bestimmt.
In der Zeit von Oktober 1942 bis zum 28. Oktober 1944 verließen große Transporte das Ghetto mit dem Ziel der Vernichtungsstätten Treblinka und Maly Trostenez, wo fast alle Deportierten sofort ermordet wurden. Ab Sommer 1944 fuhren die Deportationszüge vor allem in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Die meisten der in das Ghetto Theresienstadt deportierten 248 Wuppertaler Jüdinnen und Juden kamen entweder im Ghetto selbst unter den dort herrschenden erbärmlichen Umständen um (114) oder wurden in Treblinka (92) oder Auschwitz (35) ermordet.Theresienstädter Gedenkbuch, a.a.O. S. 260-263.
Das Vernichtungslager Treblinka, nordöstlich von Warschau gelegen, wurde im Sommer 1942 errichtet. Es war das größte der drei Vernichtungslager der „Aktion Reinhardt“ (Treblinka, Bełżec und Sobibór), deren einziger Zweck es war, Juden zu töten und die Körper restlos zu beseitigen. Es gab keine Selektionen. Die Tötungsmethode war die Einleitung von Dieselabgasen in Gaskammern. Diese Lager unterstanden der Kanzlei Adolf Hitlers, die SS-Obergruppenführer Philipp Bouhler leitete. Verantwortlich für die Durchführung dieser etwa anderthalb Jahre andauernden Vernichtungsaktion im so genannten „Generalgouvernement“ war Odilo Globocnik, Höherer SS- und Polizeiführer für den Distrikt Lublin. Die Gesamtzahl der zwischen dem 22. Juli 1942 und dem 21. August 1943 ermordeten Menschen allein im Vernichtungslager Treblinka liegt deutlich über 700.000 und wird sogar auf über 1 Million Menschen geschätzt. Insgesamt wurden bei der „Aktion Reinhardt“ bis zu 2 Millionen Jüdinnen und Juden beraubt und ermordet.
Auschwitz-Birkenau war das größte deutsche Vernichtungslager. Es wurde 1941 drei Kilometer entfernt vom eigentlichen Konzentrationslager, dem so genannten „Stammlager“, auf dem Gebiet der Gemeinde Brzezinka (Birkenau) errichtet. Kommandant von Auschwitz-Birkenau war Rudolf Höß. Im Lagerkomplex Birkenau wurden zwischen April 1942 und November 1944 etwa 1,1 Millionen Menschen ermordet. Etwa 900.000 der deportierten Personen wurden direkt nach ihrer Ankunft in den Gaskammern durch das Giftgas Zyklon B ermordet. Weitere 200.000 Menschen kamen durch Krankheiten, Unterernährung, Misshandlungen und medizinische Versuche um.
Einer der ersten US-Soldaten, die das in Auflösung befindliche Ghetto Theresienstadt noch vor der regulären Befreiung, auf eigene Initiative und allein betraten, war der Wuppertaler Hans Rudolph Wahl, der sich jetzt John R. Wahl nannte. Seine Eltern Bertha und Ernst Wahl waren am 20. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert worden, und nun, im Juni 1945, hoffte er, sie noch lebend vorzufinden:
John Wahl erinnerte sich:
Die Einfahrt nach Theresienstadt war unglaublich, da wohl viele Gefangene glaubten, dass die US-Armee gekommen sei, so liefen hunderte neben meinem Jeep bis nach Hauptstraße 15, die letzte Adresse von unseren Eltern. Es war eine große Steinkaserne, und es wurde mir aus einem Buch gezeigt, dass unser Vater dort gestorben und unsere Mutter nach Auschwitz transportiert war. Ich wurde auf ein Zimmer gebracht, wo unsere Mutter mit 6 Damen gelebt hatte. Da ich natürlich in Uniform war und Pistole und Carabiner trug, glaubten die armen Frauen, dass sie getötet würden, aber als ich mich zu erkennen gab, haben sie mir die Hand küssen wollen, und es war eine erschütternde Situation, schlimmer als in der Kampfzeit.Ulrike Schrader (Hg.): Antworten aus der Emigration. Briefe und andere Quellen jüdischer Flüchtlinge aus Wuppertal in der Sammlung Föhse, Wuppertal 2018, S. 147 (Brief John R. Wahl vom 4.2.1981).
Die Deportation der letzten Juden aus Wuppertal am 17. September 1944
Nach der Deportation nach Theresienstadt im Juli 1942 gab es nur noch Juden und Jüdinnen in Wuppertal, die in einer so genannten „Mischehe“ lebten oder die einen „arischen“ Elternteil hatten. Aber im August 1944 erhielt Rechtsanwalt Gustav Brück, der frühere Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Wuppertal, den Befehl der Gestapo, eine Liste mit den Namen dieser „Mischehen“ zusammenzustellen. Akribisch sollte Brück ermitteln und aufschreiben, ob der Mann oder die Frau jeweils jüdisch war, ob Kinder vorhanden und ob diese jüdisch oder christlich erzogen wor-den waren.
Seine Bestandsaufnahme ergab, dass im Zuständigkeitsbereich der jüdischen Ge-meinde noch 53 Männer und 56 Frauen wohnten, also insgesamt 109 Personen. Das geht aus einer erst jüngst in das Archiv der Begegnungsstätte gelangten und bisher unbekannten Akte hervor. Sie dokumentiert die Angaben der Lebensdaten, Konfession, Mitgliedschaft in der „Reichsvereinigung der Juden“, Zahl und Lebens-daten der Familienmitglieder, Nationalität, Arbeitsstellen, Wohnverhältnisse samt Mietzins und vor allem: den „rassischen Status“ der jüdischen und „jüdisch versipp-ten“ WuppertalerInnen. Demnach gab es im Jahr 1944 noch vier „nicht mehr beste-hende Mischehen“, 24 „nicht privilegierte Mischehen“ (23 Männer, eine Frau), 70 „privilegierte Mischehen“ (20 Männer, 50 Frauen), vier aufgelöste „Mischehen“ (2 Männer, 2 Frauen), zehn „Geltungsjuden“ (7 Männer, 3 Frauen) und einen „Vollju-den“. Vier Personen waren zu diesem Zeitpunkt in einem Konzentrationslager, vier ausgebombt und tot.
Die Liste war die Rekonstruktion einer so genannten „Zentralkartei“, die sich in Ber-lin in einem Regierungsgebäude befunden hatte und durch eine Bombardierung der Hauptstadt vernichtet worden war. Sie bildete die Basis für das letzte Deportations- und Tötungsvorhaben der Nationalsozialisten: Im September 1944, als die militäri-sche Niederlage abzusehen war, gab es von hoher Stelle den Befehl, auch die ver-bliebenen Juden und Jüdinnen in „Mischehe“ und ihre Kinder zu ermorden, und zwar durch Erschießungsaktionen. Doch die Ausführung dieses Befehls verhinderten der Chef der Düsseldorfer Gestapo, Gustav Nosske, und der Inspekteur der Sicherheits-polizei im Wehrkreis VI, Walter Albath. Sie ordneten stattdessen an, die erfassten Juden und Jüdinnen zu deportieren, und zwar in verschiedene Arbeitslager, in das „Jüdische Krankenhaus Iranische Straße“ Berlin oder in das Ghetto Theresienstadt.
Herbert Cohnen, Sohn einer nichtjüdischen Mutter und eines jüdischen Vaters, wohnte damals im Haus Straße der SA 73 (heute Friedrich-Ebert-Straße). Er war seit seinem 14. Lebensjahr wegen einer Polioinfektion an beiden Beinen gelähmt. Im September 1944 war er 21 Jahre alt. Er berichtete später:
So kam der 17. September 1944. An diesem Sonntagmorgen, sehr früh, ein lautes Gebrüll im Hause 73 – alle Juden raus! Die nichtjüdischen Bewohner fragten ängstlich, was los sei. Antwort: „Die werden alle erschossen!“ Wir mussten uns dann alle mit höchstens 20 Kg Gepäck und Lebensmitteln für drei Tage auf dem Präsidium einfinden. Eine große Gemeinheit war, dass mein Bruder gezwungen wurde, einige andere Juden zu benachrichtigen. Mit den Worten „Wag es keiner zu fliehen – wir haben eure Familie!“ waren die beiden Gestapoleute wieder verschwunden. Nachdem wir uns im Polizeipräsidium eingefunden hatten, wurden wir im Trupp – streng bewacht – mitten über die Adolf-Hitler-Straße zum Unterbarmer Bahnhof geleitet. Bei der Aufstellung vor dem Bahnhof kam es zu einem Zwischenfall. Eine Frau wollte sich von ihrem in Reihe stehenden Mann verabschieden, wurde von einem Gestapomann zurückgerissen und schlug auf ihn ein. Ein Pfiff – und einige SS-Männer zerrten die Frau in ein bereitstehendes Auto. Laut späterer Aussage meiner Mutter ist sie am nächsten Morgen freigelassen worden. Hier muss ich noch feststellen, dass eine Menge Zuschauer sich ringsum ansahen, wie die Juden abtransportiert wurden!Archiv Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal: C 01.
Andere Betroffene entschieden sich, sich bei Bekannten zu verstecken, z.B. die Wuppertalerin Henriette Jordan, ihr nichtjüdischer Mann und ihre Tochter Hanna. Franz Jordan flüchtete nach Süddeutschland in ein Kloster, Mutter und Tochter blieben bis zum Kriegsende versteckt bei Freunden, denen sie vertrauten.
Wer nicht untertauchte, wurde deportiert. Männer unter 65 Jahren kamen in das Arbeitslager Lenne, ein Lager der Organisation Todt (OT), das wegen seiner Nähe zum Gebirgszug Hils auch als „Arbeitslager Hils“ bezeichnet wurde. Es befand sich innerhalb eines großen Arbeitslagers für zivile ausländische und deutsche Arbeitskräfte im Wald in der Nähe der Gemeinde Vorwohle bei Holzminden und unterstand der Staatspolizeileitstelle Hannover. Arbeitsfähige Frauen wurden über die Stadt Zeitz in das Arbeitslager Minkwitz bei Weimar deportiert, mussten aber keine Zwangsarbeit verrichten. Nach Berlin ins jüdische Krankenhaus Iranische Straße wurden vor allem Alte und Kranke gebracht, die dort auch bis zur Befreiung durch die Rote Armee blieben. Der Wuppertaler Georg Caro kam 83-jährig am 14. Dezember 1944 im Jüdischen Krankenhaus um.
Bronette Heyne, geb. Rotschild, war wegen ihrer Ehe mit dem nicht-jüdischen Speditionsunternehmer Paul Heyne ebenfalls erst im September 1944 deportiert worden. Ihr Mann war es, der die Überlebenden des Berliner Krankenhauses schließlich mit seinen Lastkraftwagen wieder nach Wuppertal zurückbrachte.
Viele derjenigen, die auf diese Weise den Holocaust überlebt hatten, meldeten sich im Januar 1946 im neu eröffneten Büro der jüdischen Gemeinde Wuppertal zurück. Sie – die Jüdinnen und Juden aus den „gemischten“ Familien – bildeten das Zentrum der neuen Nachkriegsgemeinde.