Helena Laja Tyger, geb. Weintraub, gen. Lena
Helena Weintraub wurde am 12. Februar 1890 in Łaszów in Polen geboren. Ihre Eltern waren Samuel und Mindel Weintraub. Verheiratet war Helena Weintraub mit dem drei Jahre jüngeren Moritz Tyger, mit dem sie drei Kinder hatte, die zwischen 1919 und 1924 geboren wurden: Adolf, Wolfgang Samuel und Rose.
Die Familie Tyger lebte seit 1919 in Wuppertal in der Karlstraße 28 in einer 6-Zimmer-Wohnung. Moritz und Helena Tyger führten eine Maß- und Konfektionsnäherei. Die Geschäftsräume befanden sich zunächst in der Albrechtstraße, später auch in der Karlstraße. Der Betrieb beschäftigte zwischen einem und drei Gesellen, zwei bis drei Näherinnen und einen Bügler. Auch Helena Tyger und ihre Kinder halfen im Familienbetrieb als Handnäher aus. Das Geschäft war ein Zwischenmeisterbetrieb und arbeitete mit zwei bis drei anderen Schneidereien zusammen. Die Werkstatt war 30 bis 40 qm groß und hatte Platz für zwei bis drei elektrische Nähmaschinen und mehrere Arbeitstische. Bis 1938 liefen die Geschäfte sehr gut, sodass die Familie Tyger einen gutbürgerlichen Lebensstandard unterhalten konnte.
Helena Tygers ältester Sohn Adolf, geboren 1919, konnte rechtzeitig nach Palästina auswandern, wo er seinen Namen anpasste und sich nun Jizchak Namery nannte. Später ging er in die USA.
Ihre Tochter Rose, geboren 1924, konnte 1938 mit einem Kindertransport nach Belgien entkommen und emigrierte später ebenfalls in die USA.
Helena Tygers 1921 geborener Sohn Wolfgang Samuel aber wurde am 28. Oktober 1938 zusammen mit ihrem Mann Moritz, weil die Familie die polnische Staatsangehörigkeit hatte, im Rahmen der „Polenaktion“ nach Zbąszyń an die polnische Grenze abgeschoben. Vater und Sohn gingen von dort nach Warschau, wo es Moritz Tyger gelang, eine Aufenthaltsgenehmigung für das Deutsche Reich mit einer Gültigkeitsdauer von acht Wochen für sich zu besorgen. Allerdings nicht für seinen 17-jährigen Sohn, den er zurücklassen musste, während er selbst am 27. Juni 1939 wieder nach Wuppertal zurückkehrte.
Es war klar, dass die Familie jetzt die Auflösung des Geschäfts und der Wohnung betreiben und die Auswanderung vorbereiten musste. Der Plan war, nach England oder nach Argentinien zu gehen. Dazu kam es aber nicht mehr. Am 12. September 1939 wurde Moritz Tyger von der Gestapo verhaftet und als „Schutzhäftling“ im Polizeigefängnis Wuppertal-Elberfeld eingesperrt. Am 21. Dezember 1939 kam er in das Konzentrationslager Sachsenhausen.
Währenddessen war der Sohn Wolfgang in Polen im April 1940 in das neu errichtete Ghetto von Łódź verbracht worden. Helena selbst war zunächst zu einer Bekannten in die Wielandstraße gezogen und dann in ein Zimmer im Haus Tannenbergstraße 12 eingewiesen worden, in das nach und nach immer weitere Jüdinnen und Juden einziehen mussten – mehr oder weniger freiwillig. Ihre Möbel hatte sie einer Spedition zur Lagerung gegeben, weil sie immer noch daran glaubte, auswandern zu können. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie nach wie vor als Näherin.
Am 3. September 1940 wurde Helena Tygers Mann in das Konzentrationslager Dachau verbracht, und dort starb er am 25. April 1941. Die Lagerverwaltung schickte eine Urne an Helena Tyger, in der sich angeblich seine Asche befinden sollte. Am 16. Mai 1941 wurde diese Urne auf dem jüdischen Friedhof am Weinberg beigesetzt (Feld K, II). Auf dem Grabstein steht „in Memoriam Lena Tyger 1892-1941“. Dass die Angehörigen, die diesen Gedenkstein später setzten, die korrekten Daten nicht kannten, ist erklärbar.
Am Sonntag, den 26. Oktober 1941, musste sich Helena Tyger zusammen ihren Nachbarn, dem Ehepaar Albert und Selma Marx, und nahezu 200 weiteren Jüdinnen und Juden aus Wuppertal, Remscheid und Solingen am Wuppertaler Bahnhof Steinbeck einfinden. Von dort wurden sie alle nach Düsseldorf transportiert, wo sie eine Nacht auf dem Schlachthofgelände Derendorf zubringen mussten, bevor sie am nächsten Tag ein großer Transportzug mit rund 1000 Menschen ins Ghetto von Łódź fuhr. Helena Tyger musste dort die Kollektivunterkunft Fischstraße 15, Zimmer 5, beziehen. Was sie nicht wissen konnte: Erst wenige Wochen zuvor war es ihrem Sohn Wolfgang gelungen, während eines Transports zur Arbeit außerhalb des Ghettos zu flüchten. Er versteckte sich und konnte bis zum Kriegsende im Untergrund überleben.
Während der Deportationen im Mai 1942 konnte Helena Tyger sich vom II. Transport am 5. Mai 1942 zurückstellen lassen. Auf der Befreiungsliste ist bereits die Wohnung 6 in der Rauchgasse 22 angegeben. Vermutlich arbeitete sie im Ghetto als Schneiderin – zumindest geben einige Dokumente diesen Beruf für sie an. Helena Tyger überlebte bis 1944 im Ghetto von Łódź. Erst mit der Auflösung des Ghettos kam sie im August 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz, wo sie vermutlich sofort nach ihrer Ankunft ermordet wurde. Genaue Angaben zu Todesort und Todesdatum sind bisher nicht bekannt. Sie wurde 54 Jahre alt.
Bildnachweis
- Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal, Foto: Matthias Wellmer
Quellen
Stadtarchiv Wuppertal: Akten für Wiedergutmachung 611550, Archiv Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal: Deportationsliste Lodz; Jakobs, Hildegard: Im Ghetto Litzmannstadt (Lodz). 1.003 Biografien der am 27. Oktober 1941 aus Düsseldorf Deportierten, in Zusammenarbeit mit Angela Genger, Immo Schatzschneider und Markus Roos, hg. vom Förderkreis der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf e.V., Essen 2011