Dr. Elisabeth Luise Friesicke, geb. Culp, gen. Lilli

  • Geburtsdatum: 08.10.1888
  • Geburtsort: Elberfeld
  • Beruf: Gynäkologin
  • Wohnort:

    Hofaue 77

  • Todesdatum: 10.11.1938
  • Todesort: Brandenburg a.d. Havel

Elisabeth Luise Culp wurde am 8. Oktober 1888 als Tochter von Sieghard Culp und seiner Frau Kathinka Culp, geb. Hoffmann oder Sophie Culp, geb. Fränkel in Elberfeld geboren. Sie hatte noch zwei ältere Brüder, Gustav Ernst, geboren 1872, und Richard Egon, Jahrgang 1877. Später bekam sie noch eine kleine Schwester, Elisabeth Alice, die 1893 auf die Welt kam.

Lilli, wie Elisabeth Luise genannt wurde, besuchte zuerst eine Schule in Elberfeld, bevor sie dann 1909 in Remscheid ihr Abitur machte. Daraufhin ging sie nach Bonn, um dort ein Medizinstudium zu beginnen. Bis zum Wintersemester 1912/13 war sie dort eingeschrieben, dann wechselte sie an die Universität in Jena. Die Studierendenverzeichnisse der Universitäten geben darüber Aufschluss. 1914 beendete sie ihr Studium und promovierte 1915 in Jena mit einer Arbeit zur „Bedeutung des fötalen Hydrocephalus als Geburtshindernis“.

An der Universität in Jena lernte sie vermutlich ihren späteren Ehemann, Georg Friesicke, kennen. Er studierte dort ebenfalls Medizin und promovierte ein Jahr vor ihr.

Zwischen 1917 und 1919 heirateten die beiden in Charlottenburg und zogen kurz darauf, spätestens 1919, nach Brandenburg an der Havel. Im Haus Katharinenkirchplatz 1, im Schatten der gotischen Katharinenkirche, betrieben die beiden ihre eigene Praxis: Georg war Radiologe und Arzt für Innere Medizin, sie war Gynäkologin.

Im September 1921 kam der gemeinsame Sohn Heinz-Herbert in Berlin zur Welt, die Tochter Marlene wurde im Juli 1925 in Brandenburg geboren.

Georg Friesicke starb aber bereits 1927 oder 1928, so dass sich Lilli nun alleine um die Kinder kümmern und gleichzeitig als Ärztin ihren Lebensunterhalt verdienen musste.

Offenbar lief ihre Praxis gut, denn 1932 kaufte sie ein Haus in der gleichen Straße, Nummer 8, und richtete dort ihre Praxis ein. Doch schon 1933 verlor sie als Jüdin ihre Kassenzulassung, so dass sie nur noch Privatpatientinnen behandeln konnte.

Wie den anderen Juden und Jüdinnen machten die Nationalsozialisten auch Lilli Friesicke seit 1933 das Leben schwer, obwohl sie sich schon früh von der jüdischen Religion losgesagt hatte. Ihr Ehemann war zwar evangelisch gewesen, aber durch seinen frühen Tod waren sie und ihre Kinder vor den Nationalsozialisten nicht mehr geschützt.

Vermutlich versuchte Lilli, mit ihren beiden Kindern Deutschland zu verlassen. Doch am Tag des Novemberpogroms, am 9. November 1938, wurde sie verhaftet und in das örtliche Polizeigefängnis gebracht. Am nächsten Tag ist war tot. Offiziell heißt es, sie habe im Gefängnis Selbstmord begangen. Allerdings wird diese Version angezweifelt, da sie ihre minderjährigen Kinder, zu dem Zeitpunkt 17 und 13 Jahre alt, vermutlich in dieser Situation nicht willentlich alleine gelassen hätte.

Lilli Friesicke wurde 50 Jahre alt.

 

Auf dem Gedenkblatt in Yad Vashem, das Amy Minton, die Großnichte von Heinz-Herberts Lehrer in Berlin, ausgefüllt hat, wird der SS-Mann, der Lilli Friesicke in Haft offenbar gefoltert hat, mit Namen benannt. Der Sohn Heinz-Herbert besuchte zu diesem Zeitpunkt die Amerikanische Schule in Berlin und hatte dem Schulleiter, Gregor Ziemer, von den Ereignissen berichtet.

Er und seine Schwester wurden unter die Vormundschaft eines örtlichen Partei- und Stadtratsmitglieds gestellt. Dieser verkaufte, als sei es sein persönliches Eigentum, das Haus der Familie Friesicke am Katharinenkirchplatz 8 weit unter Wert an den Vorsitzenden der örtlichen NSDAP.

Heinz-Herbert brachte seine kleine Schwester in die Niederlande zu der dort lebenden Verwandtschaft, ging aber wieder zurück nach Brandenburg, um dort seine Ausbildung zum technischen Zeichner zu beenden. Später begann er ein Studium der Ingenieurswissenschaften. Am 9. Oktober 1945 starb er an Typhus, gerade 24jährig.

Seine Schwester Marlene überlebte in den Niederlanden die NS-Zeit. Sie heiratete Robert Sevenhuijsen und bekam mit ihm drei Kinder.

Der „Käufer“ des Hauses von Familie Friesicke wurde 1948 von der Sowjetischen Militäradministration enteignet, als Kriegsverbrecher verurteilt und das Gebäude zum Volkseigentum deklariert.

Auf dem jüdischen Friedhof an der Geschwister-Scholl-Straße in Brandenburg gibt es eine Inschrift für Lilli Friesicke, und seit 1993 ist eine Straße in der Stadt nach ihr benannt. Am 10. November 2023 wurden im Beisein von Familienangehörigen vor dem Haus am Katharinenkirchplatz 8 Stolpersteine für Lilli, für den Sohn Heinz-Herbert und für die überlebende Tochter Marlene verlegt.

Quellen


Archiv BAS C 08; lt. Gedenkbuch BRD auch Lilli Elisabeth Luise; Geburts- und Sterbedatum aus Gedenkbuch BRD; Gedenkblatt Yad Vashem, auch für den Sohn; Seit 10.11.2023 Stolperstein in Brandenburg a.d.Havel, Katharinenkirchplatz 8; Heiko Hesse: Der mysteriöse Tod der Lilli Friesicke, in: Märkische Allgemeine, 5.11.2018 https://www.maz-online.de/lokales/brandenburg-havel/der-mysterioese-tod-der-lilli-friesicke-HYA6BIP55FEOFQRTJ34P5722YA.html (26.4.2024); brandenburg-live.com: Verlegung von Stolpersteinen für Familie Friesicke am 10.11.2023 https://www.brandenburg-live.com/blog-post/verlegung-von-stolpersteinen-fuer-familie-friesicke-am-10-11-23/ (26.4.2024)

Eintrag zu Lilli Friesicke auf „16. Jahrhundert und die Reformation in Brandenburg an der Havel“ https://reformation.stadtmuseum-brandenburg.de/reformation/historischer-kontext-test/92-historischer-kontext-unterseiten/202-dr-friesicke.html (25.4.2024); Heiko Hesse: Stolpersteine in Brandenburg: Gedenken an Nazi-Opfer Lilli Friesicke und ihre Kinder, in Märkische Allgemeine, 7.11.2023 https://www.maz-online.de/lokales/brandenburg-havel/brandenburg-an-der-havel-stolpersteine-fuer-ns-opfer-lilli-friesicke-und-ihre-kinder-GL4GQIT6JJCNRLISGT3G7GAGGQ.html (26.4.2024)