Daniel Marx
Daniel Marx wurde am 9. Januar 1869 in Zeltingen-Rachtig in eine alt eingesessene jüdische Familie geboren. Er erlernte das Handwerk des Schlossers und des Schmieds und hatte eine eigene Schmiede. Verheiratet war er mit Helene Simon, mit der er mindestens drei Töchter hatte: Selma, Fanny und Rosa. Nachdem seine Frau im Jahr 1934 gestorben war, zog er zu seiner Tochter Selma, die mit dem Schneider Paul Grodzki verheiratet war, der die polnische Staatsangehörigkeit hatte, wodurch auch sie Polin wurde. Die Familie lebte in der Gesundheitstraße 103 in der Elberfelder Südstadt an der Wupper.
Als am 28. Oktober 1938 die deutsche Regierung rund 17.000 polnische Juden an die polnische Grenze abschob, um zu verhindern, dass diese ihre Staatsangehörigkeit verlieren und damit nicht mehr nach Polen einreisen könnten, drangen Polizei und SS-Männer in die Wohnungen polnisch-jüdischer Familien ein, um sie zu verhaften und abzuschieben. Auch in die Gesundheitsstraße 103 zu Familie Grodzki kamen sie, wo sie Daniel Marx vorfanden. Seine Tochter erinnerte sich später:
Mein Vater lebte seit 1934, nachdem meine Mutter gestorben war, bei uns. Sie starb eines natürlichen Todes. Dann sahen sie ihn und fragten: „Wer sind Sie? Auch Pole?“ Er sagte: „Nein, ich bin deutscher Jude, stamme aus Rachtig bei Zeltingen an der Mosel, meine Vorfahren lebten schon seit 300 Jahren dort.“ Und sie sagten: „Dann können Sie hierbleiben.“
Grodzkis wurden in Haft genommen. Selma Grodzki erinnert sich:
Nun hörten wir, dass wir nach Polen abgeschoben würden. Abends kam dann ein Befehl, dass die Frauen und Kinder nach Hause gehen konnten. Die Männer wurden allein abgeschoben. Nun stand ich allein mit dem Kind und mit meinem alten Vater da, musste alles zum Auswandern vorbereiten. Haus verkaufen, Betrieb auflösen und so weiter. Es war alles so schwierig. Wenn ich ein Visum und eine Schiffskarte vorzeigen konnte, durfte mein Mann vier Wochen vor der Ausreise nach Hause kommen. Wir waren ja Ausländer und es war noch kein Krieg, darum durften wir was mitnehmen, natürlich jeder nur 10 Mark und kein Gold, Kleidungsstücke und Wäsche. Das Haus verkaufte [ich] ganz billig. Inzwischen haben wir viel Schweres erlebt und waren immer in großer Angst. Die Cristalnacht hat mich auch nicht verschont. Es kam eine ganze Horde Nazis. Wir liefen auf die erste Etage zu anderen Leuten. Sie schlugen Haus und Wohnungstür kaputt und drangen in die Wohnung. Dort schlugen sie alles kurz und klein. Nicht eine Tasse blieb ganz, auch Möbel, Glasvitrine, Standuhr, Bilder, Radio – alles schlugen sie kaputt. Wir hörten oben alles. Wir hatten so Angst, sie kämen rauf, aber G.s.D. kamen sie nicht. Im Nachbarhaus wohnte ein Arzt, der rief die Polizei, aber sie antwortete, wir können nicht helfen, wir dürfen nicht. Auf der zweiten Etage wohnte eine Frau, die ging auf den Balkon und rief: „Gehen Sie doch weg, Grodzkis sind anständige Menschen!“ Da riefen sie: „Wenn Sie nicht sofort reingehen, dann schießen wir.“ Das geschah alles, wie mein Mann noch im Niemandsland war. Polen ließen damals die Ausgewiesenen nicht rein, und sie wurden dort auf freiem Feld mitten im Winter abgesetzt, dann später wurden sie dann in Schulen und Pferdeställen untergebracht. Meine Schwester war inzwischen nach Buenos Aires ausgewandert und hatte mit großer Mühe Visa für uns nach Bolivien bekommen. Mein Vater ging leider nicht mit uns und blieb in Wuppertal und wurde irgendwo vergast. Das schrieb uns das Rote Kreuz.
Während alle seine drei Töchter rechtzeitig emigrieren konnten, blieb der Vater in Wuppertal zurück. Seine letzte Wohnadresse war die des ehemaligen Altersheims der jüdischen Gemeinde Wuppertal-Elberfeld in der damaligen Straße der SA 73 (heute Friedrich-Ebert-Straße), wo im Jahr 1942 auf engstem Raum bereits über 70 meist ältere Personen zwangsweise zusammenlebten. Von dort musste sich Daniel Marx am 20. Juli 1942 zum Bahnhof Steinbeck begeben, um mit vielen weiteren Jüdinnen und Juden in das Ghetto Theresienstadt deportiert zu werden. Alle jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner aus dem Altersheim mussten sich ebenfalls auf dem Bahnhof einfinden.
Nur zwei Monate später, am 21. September 1942, wurde Daniel Marx in das Vernichtungslager Treblinka verbracht und vermutlich sofort ermordet. Er war 73 Jahre alt.