Fanny Kann, geb. Michaelis
Fanny Michaelis wurde am 1. November 1864 in Kamin in Westpreußen geboren (heute Kamień Krajeński). Verheiratet war sie mit dem 14 Jahre älteren Kaufmann Julius Kann. Zusammen hatte das Ehepaar drei Söhne: Alfred, geboren 1890, Michael Rudolf, geboren 1894, und Helmut, geboren 1902.
Die Familie wohnte in der Gustavstraße 1, die 1935 nach dem bayerischen General Ludwig Freiherr von und zu der Tann-Rathsamhausen (1815-1881) in „Von-der-Tann-Straße“ umbenannt wurde.
Fanny Kanns Mann Julius war Reisender der Großhandelsfirma „Friedrich Seyd & Söhne“, wollte sich aber selbständig machen und einigte sich mit seinem Arbeitgeber auf das Geschäftsfeld mit Bettfedern. Mit seinem Kompagnon Robert Willenius gründete er 1885 eine Bettfedernfabrik, die ihren Sitz in den ersten Jahren am Mühlenschütt 17 an der 1863 neu gebauten Wupperbrücke am Döppersberg hatte. 1891 zog die Firma an die Ohligsmühle und 1903 in die Hofaue 13.
Der Gesellschafter Willenius schied zwischen 1914 und 1918 aus der Firma aus, so dass Julius Kann nun Alleininhaber der Fabrik war. Er starb am 8. April 1932 und ist auf dem jüdischen Friedhof am Weinberg begraben, an der westlichen Mauer.
Fanny Kann und ihre drei Söhne wurden nun Gesellschafter der Firma. Alfred Kann war Rechtsanwalt geworden und führte eine Kanzlei in der Berliner Straße (heute Hofkamp), Michael Rudolf wohnte in einem eigenen Haus ganz in der Nähe der Mutter in der Hohenzollernstraße 66 (seit 1935 „Bayreuther Straße“). Er war auch der Geschäftsführer der OHG. Das Unternehmen beschäftigte seit 1930 durchschnittlich 41 Arbeitskräfte. Obwohl es seit dem Beginn der NS-Zeit mit Boykotten belegt wurde, konnte es sich bis November 1938 halten – am 25. November 1938 wurde es zusammen mit dem Geschäftsgrundstück „arisiert“.
Nach seiner Scheidung 1939 zog Fanny Kanns Sohn Alfred wieder zu seiner Mutter ins Elternhaus an der Von-der-Tann-Straße 1. Auch der Sohn Helmut lebte hier, und außerdem die jüdische Familie Jacob: die Eltern Albert und Adele mit ihren jugendlichen Zwillingsöhnen Hans und Werner, die aus ihrer Wohnung in der Schlieperstraße 15 hatten ausziehen müssen. Außerdem lebte im Haus von Fanny Kann die etwa gleichaltrige Sybilla Berta Barmé, die aus ihrem eigenen Haus in der Nüllerstraße 52 ausgewiesen worden war.
Wegen der vielen jüdischen Hausbewohner und Hausbewohnerinnen wurde das Haus im Volksmund auch „Judenvilla“ genannt.
Nachdem Ende Oktober 1941 die ersten Jüdinnen und Juden aus Wuppertal deportiert worden waren – nach Łódź in das Ghetto „Litzmannstadt“, sollte am Montag, den 10. November der zweite Massentransport in den Osten fahren. Fanny Kanns jüdische Hausbewohner, Familie Jacob und Frau Barmé, aber eben auch ihre beiden Söhne Alfred und Helmut, mussten sich verabschieden und mit ihrem Gepäck zum Bahnhof Steinbeck gehen. Dort kam ein Zug mit 20 Personenwagen und nahm die 266 Personen auf, die dort aus Wuppertal, Remscheid, Neviges, Velbert und Hattingen zusammengekommen waren. Das Ziel der Fahrt, Minsk, wurde am 14. November erreicht. Es ist davon auszugehen, dass die meisten der angekommenen Menschen sehr bald, noch im Ghetto von Minsk oder im nahe gelegenen Wald von Maly Trostenez erschossen wurden.
Niemand aus diesem Transport hat überlebt.
Es scheint, dass nun in die leeren Wohnungen und Zimmer neue jüdische Bewohnerinnen und Bewohner einquartiert wurden: das Ehepaar Frieda und Karl Karfiol, früher Wall 29, Hedwig Levy, Henny Rosenberg und Louis Stein.
Sie alle mussten sich am Montag, den 20. Juli 1942, zum Bahnhof Wuppertal-Steinbeck begeben. Dort wurden insgesamt 271 Personen – aus Wuppertal, Remscheid, Solingen, Neviges, Velbert und Heiligenhaus – zunächst nach Düsseldorf gefahren, wo sie auf dem Schlachthofgelände Derendorf eine Nacht zubringen mussten, bevor sie am nächsten Morgen mit einem großen Transport von nahezu 1000 Personen zum Ghetto Theresienstadt verbracht wurden. Schon wenige Wochen später, am 8. August 1942, kam Fanny Kann dort um, vor Hunger, Entkräftung, mangelnder medizinischer Versorgung oder anderer Misshandlungen.
Sie war 78 Jahre alt.
Bildnachweis
- Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal, Foto: Matthias Wellmer
Quellen
Archiv Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal: Deportationsliste Theresienstadt; Stadtarchiv Wuppertal: Akten für Wiedergutmachung 609803; Hinrich Heyken: Die Hofaue, das Textil-Großhandelszentrum in Elberfeld, Wuppertal 2012, S. 197-200